1549 - Der steinerne Engel
werden ihn bekommen. Darauf kannst du dich verlassen.«
Es war alles gesagt worden. Der alte Mann drehte sich nach rechts, um den Weg wieder zurück ins Dorf zu gehen. Er würde für ihn zu einer Marterstrecke werden, das war ihm klar, und es war zudem fraglich, ob er Porte noch lebend erreichen würde.
Drei Schritte humpelte er vor und dabei immer schwer auf seinen Stock gestützt.
Dann hörte er hinter sich das Geräusch. Es war ein leises Schaben, das von einem eisigen Hauch begleitet wurde, der ihn im Nacken erwischte.
Jorge blieb stehen.
Er duckte sich.
Und er wusste, dass der Todesengel ihn nicht mehr bis ins Dorf gehen lassen würde.
Zwei Hände legten sich um seinen Hals. Kalte Hände und zugleich hart wie Stein.
Sie drückten zu, raubten ihm die Luft, sodass Jorge nur noch röchelnde Laute ausstieß. Sein Gesicht veränderte sich innerhalb von Sekunden und wurde zu einer blassen Teigmasse.
Er hörte ein Knacken.
Mein Gott, der drehte dir den Hals um! Er bricht dir das Genickt!
Es waren die letzten Gedanken in seinem Leben. Dann erwischte ihn ein schon irrsinniger Schmerz, der von einer Dunkelheit abgelöst wurde, aus der es kein Zurück mehr gab…
***
Ich war da und Raniel war weg!
Mit diesem Gedanken musste ich mich erst einmal vertraut machen, nachdem ich einen leichten Schwindel überwunden hatte und ich mich mit der neuen Umgebung beschäftigen konnte.
Zunächst mal war ich froh, die gefütterte Jacke angezogen zu haben, denn hier war es kälter als in London, und das lag vor allem am Wind.
Er kam aus der Höhe, und als ich einen ersten Blick in die Runde warf, da stellte ich fest, dass Raniel nicht gelogen hatte. Ich befand mich in den Bergen, wobei der Ort, an dem ich gelandet war, wie eine breite Schlucht aussah.
Ich hatte das Glück, mich am Ende dieser Schlucht zu befinden, wo sich das Gelände öffnete und ich die mächtige und an einigen Stellen mit Schnee bedeckte Kulisse der Pyrenäen sah.
Wer in dieser Schlucht lebte, der konnte sich leicht gefangen vorkommen. Und es gab hier Menschen, denn als ich mich umdrehte, da fiel mein Blick auf eine Ansiedlung von Häusern, die sich an den steilen Hängen der Schlucht verteilten.
Es war noch nicht dunkel. Trotzdem brannten erste Lichter in dem mir unbekannten Ort.
Das war mein Ziel. Das musste mein Ziel sein. Aber ich sah auch die beiden flachen Hütten nicht weit entfernt und hörte das Blöken aufgeregter Schafe. Sie standen nicht mehr auf der Weide, sondern hielten sich in einem der beiden Hütten auf.
Es war noch hell genug, sodass ich mir etwas Zeit lassen konnte.
Deshalb ließ ich das Dorf links liegen und ging auf die eine Hütte zu, in der Licht brannte, denn hinter den kleinen Fenstern schimmerte es gelblich.
Es gab einen Weg, der zwischen den leeren Koppeln hindurch führte. Er brachte mich direkt zum Eingang. Hier vernahm ich das Blöken der Schafe lauter. Es hörte sich für mich sogar ängstlich an.
Es gab zwar eine Tür, die ich zunächst vergaß, weil mich ein Fenster mehr lockte. Ich stellte mich dicht davor und warf einen Blick durch die Scheibe.
Am Tisch saß ein Mann, und er hatte seinen Platz direkt im Licht gefunden. Graues langes Haar, ein zerfurchtes Gesicht und zwei Hände, von denen eine ein Messer hielt. Damit schnitt er Käsescheiben von einem großen Stück ab. Eine übergroße Tasse stand auf dem Tisch, aus der der alte Mann hin und wieder trank.
Das musste der Schäfer sein, der mich bisher noch nicht entdeckt hatte.
Das wollte ich ändern und klopfte deshalb gegen die Scheibe.
Der Mann am Tisch schrak zusammen, bevor er seinen Kopf nach links drehte. Er sah mich und sah meine Zeichen, die andeuteten, dass ich ins Haus kommen wollte.
Der Grauhaarige überlegte und beobachtete mich. Deshalb lächelte ich und hoffte darauf, dass es nicht erfolglos blieb.
Schließlich sah ich das Nicken. Der Mann ging nicht zur Tür, um zu öffnen, er trat dicht an das Fenster heran und öffnete es.
»Wer sind Sie?«
Ich gab die Antwort auf Französisch. »Ich möchte gern wissen, wie der Ort heißt.«
»Warum?«
»Weil ich dorthin muss.«
Er schaute mich von oben bis zur Brust an und schien zu überlegen, wie er mich einstufen sollte. Dann schüttelte er den Kopf und sagte: »Wir brauchen hier keine Fremden.«
»Ja, das kann ich verstehen. Aber ich bin nun mal da und kann nicht wieder wegfliegen.«
»Wie sind Sie hergekommen?«
»Ich habe mich verirrt.« Es war keine gute Ausrede, aber ich setzte darauf,
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