1549 - Der steinerne Engel
schauen. Bis auf eine Kleinigkeit hatte sich nichts verändert.
Ich sah, dass die beiden wandernden Lichter näher kamen. Sie stammten sicherlich von Taschenlampen.
Ich blieb stehen, um auf die Menschen zu warten. Obwohl ich nicht unbedingt weit von den ersten Häusern entfernt stand, war es bei mir heller, weil hier die Hänge der Schlucht auseinander wichen.
Ich erkannte, dass es sich um zwei Männer handelte, die recht schnell gingen. Hin und wieder leuchteten sie mit ihren Lampen zu den Seiten hin, was mich auf den Gedanken brachte, dass sie etwas suchten.
Ich wartete neben dem Toten vor der Bank. Den Platz musste ich auch nicht verlassen, denn die beiden Männer kamen direkt auf mich zu. Als sie nahe genug waren, hob ich meine rechte Hand und winkte.
»Da steht jemand!«, rief ein Mann auf Französisch. Er hatte es plötzlich eilig, mich zu erreichen. Der Zweite folgte gemächlicher.
Der erste Mann erreichte mich. Er sah mich, aber er sah auch den Toten vor der Bank, fluchte, starrte mich an und wich zurück.
»Komm mal her, Godwin, schnell!«
Godwin? Hatte ich mich verhört? Es gab den Namen recht selten, und so konzentrierte ich mich auf die zweite Person, die mit raschen Schritten heraneilte.
»Nein!«
Es war fast wie ein Schrei. Und hätte ihn Godwin de Salier nicht ausgestoßen, wäre die Reihe an mir gewesen.
Plötzlich waren wir uns nahe genug, um uns in die Augen schauen zu können.
»Das ist doch nicht möglich, John, oder…?«
»Doch, mein Freund, es ist möglich.«
***
Wir waren beide wie vor den Kopf geschlagen. Denn mit einer derartigen Begegnung hätte keiner von uns gerechnet. Es war eine Überraschung, wie ich sie selten erlebt hatte, und auch Godwin de Salier machte ein Gesicht, als hätte man ihm gesagt, die Erde würde um den Mond kreisen und nicht umgekehrt. Das war für uns beide nicht zu fassen, dass wir uns in dieser abgelegenen Bergwelt begegneten.
Für uns beide war der Tote plötzlich unwichtig geworden. Wir verloren unsere Starre zum selben Zeitpunkt und fielen uns in die Arme.
»Nein, John, dass es so etwas gibt! Ich kann es noch immer nicht glauben!«
»Doch, das gibt es.«
»Und wo kommst du her?«
»Von London, aber es ist eine längere Geschichte.«
»Wie bei mir.«
Es war zunächst genug gesagt worden, bis auf die Bemerkung, dass wir beide sehr froh waren, dann aber waren die Tatsachen wichtiger, und die lagen vor der Steinbank.
Nicht Godwin sprach den Namen flüsternd aus, sondern sein Begleiter, den ich nicht kannte.
»Das ist Jorge Moreno, gütiger Gott!«
Der Templer nickte. »Ich kenne ihn zwar nicht, aber es passt alles zusammen.«
»Und wer ist der Tote?«, wollte ich wissen.
»Ein wichtiges Glied in der Kette, John, aber davon später mehr. Ich möchte dich mit einem Freund bekannt machen. Er heißt Lucien Domain und ist ein Mönch, der nicht in einem Kloster lebt, sondern als Prediger mit offenen Augen durch die Welt geht.«
Wir reichten uns die Hände, und Luc Domain erfuhr von mir, dass Godwin und ich eng befreundet waren.
»Ja, das weiß ich. Godwin hat Ihren Namen in meinem Beisein schon öfter erwähnt.«
»Das habe ich tatsächlich.«
Ich winkte ab. »Schon gut. Lass uns lieber darüber sprechen, weshalb wir hier sind.«
Der Templer sagte: »Der Todesengel. Und er wird Jorge Moreno auch getötet haben.«
»Erbrach ihm das Genick«, erklärte ich.
De Salier stöhnte und schüttelte den Kopf.
Mit dieser Grausamkeit hatten wir alle nicht rechnen können, aber wir wussten jetzt, was uns bevorstand. Der Todesengel war eine Gefahr für alle Menschen im Ort. Ich erfuhr nun auch den Namen. Er hieß Porte.
Und ich erfuhr noch mehr. So wusste ich kurz darauf, dass die Morenos eine wichtige Rolle spielten. Außer dem ermordeten Vater gab es noch den Sohn, dessen Frau und deren gemeinsamen Sohn.
»Ich denke, dass Maria Moreno es befürchtet hat«, fasste Luc Domain zusammen. »Als wir gingen, habe ich die Verzweiflung in ihren Augen gesehen. Das sagte mehr als Worte.«
»Wir können ihn hier nicht liegen lassen, Luc«, sagte Godwin. »Fasst du mit an?«
»Klar.«
Bevor sie den Toten anhoben, kam ich mit einer Frage dazwischen. »Ich habe nur den Toten gesehen, als ich hier ankam. Seinen Mörder kennen wir wohl, aber wo hält er sich auf?«
»Wir haben ihn gesehen«, erklärte Luc.
»Und ihr lebt noch?«
»Ja. Seine Zeit war wohl noch nicht gekommen, John. Aber wie sind Sie hergekommen?«
»Genau. Das möchte ich auch gern wissen«,
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