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1549 - Der steinerne Engel

1549 - Der steinerne Engel

Titel: 1549 - Der steinerne Engel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jason Dark
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Herzschlag. Langsam legte er den Kopf zurück, um besser zum Himmel schauen zu können, weil das Geräusch über ihm erklungen war.
    Da war der Vogel!
    Nein, das konnte kein Vogel sein! Es sei denn, ein übergroßes und mythisches Tier hätte seine Welt verlassen. Aber das konnte es nicht sein.
    Es war kein Vogel, obwohl die Gestalt zwei mächtige Flügel hatte, aber die gehörten auch zu einem Engel.
    Er war also da!
    In diesem Augenblick wurde Jorge von einer Erleichterung erfasst, die er in den letzten beiden Jahrzehnten nicht mehr verspürt hatte. Aller Ballast fiel von ihm ab, denn er wusste, dass seine Zeit gekommen war. Wo steckte er?
    Jorge zwinkerte. Er musste eigentlich eine Brille tragen, um gut sehen zu können. Die aber lag zu Hause in einer Schublade.
    Und trotzdem sah er ihn jetzt deutlicher. Es war kein Vogel. Es war eine menschliche Gestalt mit mächtigen Schwingen, die auf ihn niedersank.
    Jorge sah das Gesicht, das noch immer wie versteinert wirkte, und auch an dem großen Körper bewegte sich nichts. Es waren einzig und allein die Flügel, die leicht auf und nieder schwangen.
    Dann streckte sich der Körper. Er bildete jetzt eine Senkrechte, und die blieb auch bestehen, als die Gestalt nach unten sackte und mit beiden Füßen zuerst aufkam.
    Sie stand still, und sie stand etwa einen Meter vor der Bank, auf der Jorge saß.
    Er wusste nicht, ob er sich die Begegnung auf diese Art gewünscht hatte, aber es war müßig, darüber nachzudenken. Es war so weit, und er hatte eine Generation darauf gewartet. Ein Zurück gab es nicht mehr, und er war irgendwie erleichtert.
    Der Todesengel schaute ihn an. Sein Blick war hart, kalt und passend zu ihm - eine böse Gestalt, die nicht zu den Menschen gehörte, die jedoch den Regeln eines alten Fluchs gehorchen musste und nun ihre Kraft ausbreitete.
    Jorge nickte seinem Besucher zu. Er war irgendwie locker geworden und sagte: »Es ist gut, dass wir uns mal wieder treffen, mein Freund. Ja, das ist sehr wichtig für mich.«
    Der Todesengel gab keine Antwort.
    Jorge hob die Schultern. »Ich weiß nicht, was dich daran hindert, mit mir zu sprechen, aber ich kann dir sagen, dass ich dich die lange Zeit über nie vergessen habe. Ich musste immer an dich denken, denn du hast mir die schlimmste Niederlage meines Lebens beigebracht. Ich habe viele depressive Phasen durchlitten, aber ich habe mich immer wieder davon erholt, und ich bin froh, dass ich noch lebe, denn ich wollte dich noch einmal sehen.«
    Er verstummte und wartete darauf, dass der Todesengel etwas antworten würde. Doch der blieb stumm und stand weiterhin wie ein Denkmal vor der Bank mit dem einsamen alten Mann.
    »Das habe ich dir sagen müssen. Aber ich bin noch nicht fertig, denn ich habe eine Bitte. Ich möchte, dass du die Menschen verschonst. Sie wollen leben, denn sie haben ein Recht darauf. Das Grauen aus dem Alten Testament ist vorbei. Auch die Israeliten haben ihre Gefangenschaft verlassen können. Deshalb lass uns Menschen hier unseren Frieden. Wir haben lange genug mit der Angst gelebt. Das soll jetzt vorbei sein. Mehr weiß ich nicht zu sagen.«
    Der düstere Todesengel schwieg weiter.
    Jorges Kinn ruckte vor. »Was willst du noch? Was soll ich tun? Sag es, verdammt.« Er löste die Hände vom Stockgriff und breitete die Arme aus.
    »Bitte, wenn du ein Opfer brauchst, hier sitzt es vor dir. Nimm mich und lass die Kinder in Ruhe. Ich habe mein Leben hinter mir und stehe dir zur Verfügung.«
    »Nein!«
    Dies eine Wort war seine Antwort. Eine brutale und harte zugleich, und Jorge zuckte zusammen. Er hatte nicht gedacht, dass er dies nach all seinen Bitten zu hören bekommen würde, aber er sah auch ein, dass vor ihm kein Mensch stand. So sprach ein gnadenloser Vernichter, der nach seinen eigenen Gesetzen handelte.
    Hatte er nun gesprochen oder nicht?
    Jorge wusste es nicht zu sagen. Die Antwort war klar gewesen, und doch hatte sie sich für ihn fremd angehört. Das musste an der Stimme gelegen haben, die so etwas wie ein Schrillen gewesen war.
    Eine weitere Erklärung erhielt er nicht, und Jorge sah dies als Ende der Begegnung an. Er wollte nicht mehr, und das zeigte er auch. Wieder legte er beide Hände auf den Stockgriff und stemmte sich ächzend in die Höhe. Den Todesengel ließ er dabei nicht aus den Augen, denn er musste noch etwas loswerden.
    »Nie wird es dir gelingen, noch einmal einen Erstgeborenen in diesem Dorf zu töten. Deine Zeiten sind vorbei. Wir wollen unseren Frieden, und wir

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