155 - Briana - Tochter Irlands - Langan, Ruth
beschleunigte sich. Das war ein Gefühl, das er schon sehr lange nicht mehr gehabt hatte. Aber das stürmische Klopfen hatte ganz gewiss nichts mit dem Mädchen unter seinem Dach zu tun, davon war Keane felsenfest überzeugt.
Seine Einsamkeit machte ihm schwer zu schaffen. Viel zu lange schon hatte er sich von allem zurückgezogen und sich nur noch den Kontobüchern gewidmet. Aber sie waren alles, was ihm geblieben war. Keane war ein Fremder geworden im Land seiner Vorfahren, obwohl er doch hier geboren worden war.
„Das hier ist genau richtig.“ Mistress Malloy hielt ein Kleid von zartgelber Farbe hoch, das sie in einer der Truhen hoch oben im Turm von Carrick House gefunden hatte. „Kannst du es in so kurzer Zeit ändern, damit es dem Mädchen passt?“
„Ich werde es auf jeden Fall versuchen“, versicherte Cora und bedeutete Briana, sich aufrecht hinzustellen. Dann streifte sie ihr das Gewand über den Kopf und begann, mit Nadel und Faden das Kleid allmählich in die gewünschte Form zu bringen. „Ihr seht einfach bezaubernd darin aus“, versicherte sie, während sie Briana ein breites Band mit einer Schleife aus feinster Spitze um die Taille schlang.
„Wenn Ihr Euch jetzt hinsetzt, kann ich mich auch um Eure Haare kümmern“, erklärte Cora. „Mal sehen, was sich daraus machen lässt.“
Briana kam der Aufforderung nach und schloss seufzend die Augen, als das Dienstmädchen ihr sacht durch die kurzen Haare strich. „Die vergangenen Stunden waren für mich wie ein Traum von Luxus und Reichtum“, meinte sie verträumt. Ganz allmählich beginne ich, mich wieder wie ein richtiger Mensch zu fühlen.“
Cora trat einen Schritt zurück und betrachtete zufrieden ihr Werk. „Hier, Mylady, jetzt dürft Ihr auch sehen, was ich sehe.“ Sie führte Briana, die sich auf ihren Arm stützte, langsam zu dem großen Standspiegel in der Ecke des Raumes.
Briana schaute wie verzaubert ihr Spiegelbild an. Sie hob eine Hand an den Mund, um den leisen Überraschungsschrei zu unterdrücken. „Ich bin sprachlos“, sagte sie zu Cora, die stolz lächelnd neben ihr stand.
Das Mädchen, das sie einst gewesen war, existierte nicht mehr. Eine Fremde sah Briana aus dem Spiegel entgegen. Das liegt wahrscheinlich nur an dem Kleid, redete sie sich selbst ein. Es hatte einen hoch angesetzten Spitzenbesatz am Hals, der sich auch am unteren Ende der langen Ärmel fand. Der großzügig geschnittene weite Rock wurde hier und da ebenfalls von Spitzenbändern gerafft.
Kritisch registrierte Briana, dass sie geradezu zerbrechlich aussah. Dieser Gedanke gefiel ihr ganz und gar nicht. In ihrem ganzen Leben hatte sie sich selbst stets als ausgesprochen robust gesehen.
Und dann diese Haare beziehungsweise das Fehlen derselben. Als Briana vor mehr als drei Jahren zuletzt in einen Spiegel geschaut hatte, waren ihr die prachtvollen Locken weit über den Rücken bis an die Taille gefallen. Ihr Gesicht war von der Sonne gebräunt gewesen.
Und jetzt? Unzählige Sommersprossen fanden sich auf ihrer Nase und den Unterarmen. Deutlich erinnerte sich Briana daran, wie sie früher ihre Haut unter breitkrempigen Hüten und zierlichen Schirmen vor den Auswirkungen der Sonne geschützt hatte.
„Es ist so weit, Miss“, unterbrach Mistress Malloy Brianas Gedankengänge. „Vinson wird Euch jetzt zu Tisch geleiten.“
Dankbar nahm Briana den Arm des alten Dieners, der seinen Schritt aufmerksam ihrem unsicheren Gang anpasste. „Wie ich sehe, hat Mistress Malloy ein passendes Gewand für Euch gefunden. Wenn Ihr mir gestattet, möchte ich sagen, dass es Euch außerordentlich gut zu Gesicht steht, zumal Cora ein kleines Wunder vollbracht hat mit ihren Änderungskünsten.“
„Ja, ich habe wohl etwas an Gewicht verloren“, gab Briana unsicher zurück, und wortlos tätschelte der alte Mann ihr beruhigend die Hand.
Auf dem Weg zu der großen Haupthalle bemerkte Briana die antiken Wandbehänge, deren eingestickte Bildnisse ein beeindruckendes Zeugnis von der Geschichte der O’Maras ablegten.
„Wie ich an den vielen Schwertern und Bildern von Schlachten unschwer erkennen kann, entstammt Lord Alcott einer Familie von Kriegern und Kämpfern“, gab sie ihren Überlegungen Ausdruck.
„Ja, in der Tat. Seid Ihr demgegenüber eher kritisch eingestellt?“
„Nein, ganz im Gegenteil“, versicherte Briana im Brustton der Überzeugung. „Meine Familie kann ihre Wurzeln bis zu König Brian zurückverfolgen, dessen Söhne von dem Heiligen Patrick getauft
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