155 - Die toten Augen von St. Lamberti
Coco. „Sie ist noch schwach, aber sie wird stärker."
Dorian holte seine Gnostische Gemme hervor, die er an einer Silberkette um den Hals trug, und hielt sie Ludwig Wolf entgegen. Der Finanzmakler reagierte nicht. Von ihm ging die dämonische Ausstrahlung nicht aus.
„Ist Bernd Roth Gast Ihres Hauses?" fragte Dorian ihn.
„Nicht mehr", erwiderte Wolf tonlos. „Er ist vor zwei Tagen abgereist."
„Kennen Sie ihn schon länger?"
„Nein. Er ist ein Freund meiner Frau."
„Und es ist Ihnen nichts an Herrn Roth aufgefallen?" Dorian dachte an den Verwesungsgeruch, den Ghoule kaum verbergen konnten, auch wenn sie eine andere Gestalt annahmen.
„Nein, was soll mir aufgefallen sein?" sagte Ludwig Wolf.
Don Chapman regte sich in Dorians Manteltasche.
„Ich seh' mich mal ein bißchen im Haus um", sagte er und kletterte an Dorians Mantel hinab. Ehe der Dämonenkiller ihn zurückhalten konnte, war er an der schmalen Tür, die sich an der Seite des Treppenaufgangs befand.
Coco Zamis zuckte zusammen.
Sie murmelte einige Beschwörungen. Ihr hübsches Gesicht verzerrte sich leicht.
„Die dämonische Ausstrahlung verstärkt sich, Dorian!" preßte sie hervor. „Laß uns lieber von hier verschwinden. Die Kraft ist zu groß für mich. Ich kann ihr nicht widerstehen!"
Dorian dachte daran, daß er außer der Gnostischen Gemme nichts weiter als ein geweihtes silbernes Kreuz und einen Flakon mit Weihwasser bei sich trug. Zur Bekämpfung eines Ghouls oder eines der mächtigen Dämonen der Schwarzen Familie reichten diese Mittel nicht aus.
„Komm zurück, Don", sagte er rauh.
Coco Zamis wich schon zur Tür zurück und zog sie auf.
Ludwig Wolf stand unbewegt, als wäre er zu Stein erstarrt.
Der Dämonenkiller wollte hinter Coco hergehen.
Ein Knistern war plötzlich in der Luft. Zwischen ihm und Coco schien sich eine elektrisch geladene Wand aufzubauen, aus der kleine, bläuliche Flammen schlugen.
Unsichtbare Hände begannen an Dorian zu zerren. Durch das Knistern vernahm er Cocos Schrei. Er schaffte es, sein silbernes Kreuz hervorzuholen, doch aus der knisternden Wand schossen bläuliche Flammen darauf zu und schmolzen es in Sekundenbruchteile zu einem Klumpen.
Auf einmal blieb rund um Dorian die Zeit stehen. Das Zerren an ihm wurde unerträglich. Er bemerkte nur einen wischenden Schatten, dann stand er draußen auf der nassen Straße. Coco hielt Don Chapman in den Händen und stopfte ihn in Dorians Mantel.
Cocos Gesicht war vor Anstrengung verzerrt.
Der Dämonenkiller begriff, daß sie sich in einen schnelleren Zeitablauf versetzt und ihn und Don Chapman trotz der magischen Sperre aus dem Haus geholt hatte.
Schmerzen rasten noch immer durch Dorians Körper. Coco zerrte ihn die Straße hinab, bis sie neben einer Kirche standen.
Sie atmeten beide schwer.
Don Chapman, der nicht in den Bann der magischen Sperre geraten war, hatte das Knistern ebenfalls gehört und die bläulichen Flammen gesehen.
„Was war das?" fragte er. „Warum sind wir so schnell aus dem Haus verschwunden? Ich hatte das Gefühl, als ob wir im Haus irgend etwas finden würden, das uns weiterhelfen könnte."
„Jemand hat versucht, mich festzuhalten", sagte der Dämonenkiller gepreßt. „Coco hat uns beide herausgeholt."
Erst jetzt schien Don Chapman die Erschöpfung Cocos wahrzunehmen.
„Bernd Roth, der Ghoul?" fragte er.
Coco schüttelte den Kopf.
„Nein. Es muß ein sehr mächtiger Dämon gewesen sein."
Dorian starrte sie an.
„Wie konntest du die Sperre durchdringen, wenn sie so stark war?"
„Ich weiß es auch nicht", sagte Coco. „Als ich sie zu dir durchquerte, war sie nicht sehr stark. Doch auf dem Weg zurück zur Tür erfaßte sie auch mich. Ich dachte, es würde mich zerreißen. Doch plötzlich ließ die Kraft nach, und ich konnte dich auf die Straße bringen. Als ich Don holte, war von der Sperre nichts mehr zu spüren."
Dorian schüttelte nachdenklich den Kopf.
Was war hier in Münster los? Es schien nicht nur um die Sekte der Nachfahren der Wiedertäufer zu gehen. Der Gedanke, daß die Dämonendrillinge wiederauferstanden waren, ließ ihn erschauern.
Es hatte wieder stärker zu regnen begonnen. Dorian spannte den Schirm auf. Es gefiel ihm nicht, daß er nicht wußte, was in dem Haus des Finanzmaklers gespielt wurde. Aber er mußte Cocos Warnung ernst nehmen.
Coco zog den Kopf zwischen die Schultern, als ob sie fröstelte. Sie starrte zu dem Wolf-Haus hinüber. Dorian ahnte, daß sie auch auf diese Entfernung
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