155 - Kriminalfall Kaprun
gehen hinauf zur Panoramabahn, der überirdischen Gondelbahn, und wollen damit hoch auf den Gletscher. Brandbedingt ist zwar im gesamten Skigebiet der Strom ausgefallen, aber die Seilbahn fährt mithilfe eines Notstromaggregats.
Feuerwehrmänner mit leichtem Atemschutz, die dem Voraustrupp gefolgt sind, sind mittlerweile beim Tunnelportal angelangt. Sie beratschlagen sich. Ihnen ist bewusst, dass die Zuggarnituren jederzeit Richtung Talstation stürzen können, und sie sprechen sich kurz ab, was im Fall des Falles zu tun ist. »An die Wand drücken. Und beten«, das ist ihr Resümee. Mit einer für die gegebenen Verhältnisse minimalen Ausrüstung machen sie sich auf den Weg zum Brandherd. Es ist knapp vor 10 Uhr.
Stufe für Stufe arbeiten sich die Feuerwehrleute vor, rund 1600 Stufen sind es bis zum Zug. Die Stirnlampen leuchten die Treppe aus, und von oben sorgt der anhaltende Brand für eine flackernde Beleuchtung. Nach 530 Metern stehen die Männer unterhalb des Brandwracks. Ein gespenstischer Anblick. Der untere Waggon ist komplett ausgebrannt. Vor nicht einmal einer Stunde hat der Brand hier Temperaturen von mehreren tausend Grad entwickelt.
Dort, wo das Zugführerabteil war, sind nur noch Reste des Stahlrahmens zu erkennen, darüber ein einziger Haufen Brandschutt, aus dem das Gerippe des Führerstandsitzes herausragt. Selbst die geschwärzte Tunneldecke ist unter der immensen Hitze teilweise ausgebrochen und verstärkt das beklemmende Gefühl, sich hier mitten in einem Vorhof zur Hölle zu befinden.
Rund 15 Meter, bis zur Mitte des Zuges, können die Feuerwehrmänner gehen, weiter oben lodern die Flammen aber derart hoch, dass an ein Weiterkommen nicht zu denken ist. Auf der Stiege stoßen sie auf die ersten Leichen. Noch immer zieht dichter Rauch nach oben, der den Männern den Blick weiter nach oben versperrt.
Der lebensgefährliche Einsatz bleibt unbelohnt. Hier gibt es niemanden mehr zu retten. Wie betäubt treten sie den Rückzug an. Um 11 Uhr erstatten sie der Einsatzleitung Bericht. Keine Überlebenden, zumindest nach menschlichem Ermessen.
Kapitel 9
Als Franz Lang um 9:25 Uhr die Nachricht vom Brand in Kaprun bekommt, steht er gerade unter der Dusche. Es ist Samstag, der Leiter der Kriminalabteilung des Landesgendarmeriekommandos Salzburg ist im Wochenende. Drei Tage vor seinem 42. Geburtstag hätte er auf eine Überraschung dieser Art wohl gerne verzichtet. Jetzt aber zählt jede Sekunde.
Bei einer Katastrophe dieses Ausmaßes ist er in »seinem« Bundesland automatisch der Einsatzleiter, dem alle Rettungs-, Hilfsund Ermittlungskräfte unterstehen. Mit dem Auto seiner Frau und mobilem Blaulicht auf dem Dach bricht er sofort nach Kaprun auf. Während er unterwegs ist, bestätigen die Radionachrichten bereits die schlimmsten Befürchtungen. Von bis zu 180 eingeschlossenen Skifahrern ist die Rede.
Lang telefoniert mit dem Innenministerium in Wien und fordert Unterstützung an. Bei einer Brandkatastrophe wie dieser, die mit einer großen Opferzahl einhergeht, sind die Brandermittler der Kriminaltechnischen Zentralstelle ( KTZ ) 1 in Wien zuständig. Beweissicherung, Spurenarbeit und Zeugenvernehmungen fallen in ihren Tätigkeitsbereich. Sie sind dem von Ernst Strasser geführten Innenministerium unterstellt. Die Ermittler werden sich umgehend auf den Einsatz vorbereiten und so schnell wie möglich nach Kaprun kommen, erfährt Lang.
Als er durch Bruckberg, einen Stadtteil von Zell am See, fährt, fällt sein Blick sofort auf das Kitzsteinhorn. Majestätisch steht er da in der Ferne, der 3203 Meter hohe Berg mit messerscharf geschnittenem Nordgrat, der sich geschwungen Richtung Salzachtal zieht. Rechts davon zerklüftete Felslandschaften und der strahlend weiße Gletscher mit den Liftanlagen und der höchsten Seilbahnstütze der Welt. Nur ein Detail stört das malerische Bild: Rauch, der immer noch aus dem Alpincenter dringt.
Am Katastrophenort eingetroffen, zeigt Polizeimajor Lang Managementqualitäten. Die sind jetzt gefragt. Er versucht erst einmal, den Rettungseinsatz in geordnete Bahnen zu lenken. Er hält eine Besprechung nach der anderen ab und bringt alle relevanten Kräfte an einen Tisch: Feuerwehr, Bergretter, Sanitäter und den Betriebsleiter 2 sowie den technischen Direktor der Gletscherbahnen.
Von den Männern der Freiwilligen Feuerwehr Kaprun erfährt er, wie es im Inneren des Tunnels aussieht und dass sie keine Überlebenden mehr erwarten. Doch solange dies nicht
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