155 - Kriminalfall Kaprun
von der Heizlüfterrückwand. Damit ist offensichtlich, dass sich das Hydrauliköl des Zuges, das in den Heizlüfter eingedrungen ist, aggressiv auf die Kunststoffstruktur auswirkt. 264.000 Schläge bis zum Bruch ohne Ölbelastung gegenüber 30.000 mit Ölbelastung.
Keim vergleicht nun die mikroskopischen Aufnahmen der Bruchflächen seiner ölbelasteten Versuchsanordnung mit den Bildern aus dem Prozess-Gutachten. Er ist verblüfft. Die mikroskopischen Bilder ähneln sich frappant. Das Bruchverhalten des in der Bahn verwendeten Heizlüfters ist ident mit jenem des im Experiment ölbelasteten Heizlüfters. Keim folgert daraus, dass der Produktions-und Konstruktionsfehler, Grundlage des Kaprun-Urteils, nur eine Chimäre ist. Er notiert: »Die Gründe für das Brechen der Schraubdome liegen im Bereich der chemischen Zerstörung der Kunststoffmatrix durch das Hydrauliköl.«
Nun will er klären, welches Öl im Zug verwendet wurde. Es handelte sich ja offensichtlich um den Brandbeschleuniger schlechthin, davon geht er aus. In einem Berg Unterlagen entdeckt er einen Bericht der KTZ , »Untersuchung des in der Standseilbahn Kaprun II verwendeten Hydrauliköls«, datiert mit 22. September 2001.
»Die haben fast ein Jahr gebraucht, um das Hydrauliköl zu untersuchen«, wundert sich Keim und blättert weiter. Auf der nächsten Seite sieht er, dass der Bericht eigentlich schon am 12. Februar 2001 abgeschlossen war, aber erst sieben Monate später an das Landesgendarmeriekommando in Salzburg geschickt wurde, mit der Bitte »um Weitergabe der Ergebnisse an die in der Sache gerichtlich bestellten Sachverständigen«.
Keim stutzt erneut. Haben die Beamten die Gutachter für dumm verkauft oder zumindest dumm sterben lassen? Ohne nähere Informationen zu haben, so sieht es für ihn aus. Doch er kommt gar nicht dazu, den Gedanken zu vollenden, als sein Blick auf die Ölbezeichnung fällt: »Mobil Aero HFA .«
Aero? Schnell googelt Keim die Typenbezeichnung und notiert etwas. Es handelt sich um ein Öl, das speziell für Militärflugzeuge entwickelt wurde und das wegen seiner leichten Entflammbarkeit im Flugbetrieb nicht mehr verwendet wird. »Die leere Dose kann Rückstände des Öls enthalten, inklusive entflammbarer oder explosiver Dämpfe«, entnimmt er dem Produktblatt, und: »Aufbewahrung in einem kühlen, trockenen, gut belüfteten Bereich sowie Fernhalten von Hitze.« In der Seilbahn war das Öl unter 190 Bar Druck nur Zentimeter von der 600 Grad heißen Glühwendel des Heizlüfters entfernt.
Keine sechs Monate nach Auftragsvergabe hat Keim sein Gutachten fertig und an Fakir übermittelt. Er kommt zu völlig anderenErgebnissen als die österreichischen Gutachter. Er thematisiert Fakten, die bisher keine Erwähnung fanden, etwa die Veränderung des Heizlüfters in seiner Konstruktion. »Durch den getrennten Einbau der Heizlüfterhälften mit einer Zwischenwand im Fahrerpult ergibt sich eine neue Gerätekonstruktion, die eine neue VDE–Zulassung zur Folge hat. Folglich haben sich unter anderem die Luftströmungsverhältnisse und somit der Wärmehaushalt im Heizgerät verändern können.«
Einen »Konstruktions- und Produktionsfehler«, wie er im Prozess festgestellt wurde, stellt Keim völlig in Abrede. »In der Zeit von der Inbetriebnahme 1994 bis zum Schadensereignis 11.11.2000 erfolgten viele Temperaturwechsel (…) und tausendfache Schläge beziehungsweise Schwingungen in der Befestigung des Heizsternes mit dem Ventilator. Zusätzlich wurde das Kunststoffgehäuse durch die Umgebung wie zum Beispiel durch hydraulikölhaltige Luft (…) belastet. Diese chemische Belastung kann zu einem Polymerabbau beziehungsweise zur Zerstörung des molekularen Aufbaus der Polymermatrix führen.«
So erklärt der Stuttgarter Gutachter das Brechen der Heizsternaufhängung aus der Kunststoffverankerung. Er kommt zum Schluss: »Aus kunststofftechnischer Sicht liegt weder ein Material-, noch ein Produktions-, noch Konstruktionsfehler der Heizlüfter vor, sondern ein Fehler in der Anwendung und dem Verbau in der Standseilbahn.«
Keim fährt zu Fakir, um sein Gutachten persönlich zu übergeben. »Die Staatsanwältin in Salzburg wird das Gutachten umgehend bekommen«, versichert Fakir-Entwicklungsleiter Schuhmacher.
»Das können sie in der zweiten Instanz nicht ignorieren«, sagt Keim.
»Schauen wir mal. Sie können es auch als Privatgutachten abtun«, antwortet Schuhmacher.
»Ach, kommen Sie, bei den Fakten«, sagt Keim, lacht und
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