1551 - Das Vampirhaus
»Angst. Die Menschen hatten Angst, das habe ich mir sagen lassen. Ihnen war das Haus nicht geheuer und auch die Bewohnerinnen nicht. Das weiß ich alles aus der Zeit, als ich hier in Blunka meine Kindheit verbrachte.«
»Und wer hat es gebaut?«
Laura schaute mich an. Ich sah, dass sie braune Augen hatte mit winzigen Sprenkeln in den Pupillen.
»Da muss ich zurück ins vorletzte Jahrhundert gehen. Die Leute haben von einem Adligen gesprochen, der das Haus hat bauen lassen. Er wollte wohl mit seinen wechselnden Frauen allein sein. Es war so etwas wie ein Liebesnest. Später haben es dann die Frauen übernommen. Das muss kurz nach dem Ersten Weltkrieg gewesen sein, als sich die Donaumonarchie auflöste.«
»Verstehe.«
»Ich aber nicht, John«, sagte Laura. »Ich verstehe gar nichts. Ich weiß auch nicht, wie es möglich ist, dass derartige Monster geboren und zu Feinden der Menschen werden. Vielleicht ist es wirklich so, dass die Frauen gar nicht verschwunden sind und sich einfach nur in diese Flugmonster verwandelt haben. Aber frag mich nicht nach dem Grund. Ich bin einfach hilflos. Deshalb habe ich dich kommen lassen, Harry. Du hast mir ja gesagt, dass du dich mit Fällen beschäftigst, die den Rahmen des Normalen sprengen. Und das ist wohl hier der Fall.«
»Kann man so sagen«, pflichtete Harry ihr bei. »In dir haben wir ja die beste Zeugin.«
»Sind noch andere Menschen aus dem Ort angegriffen worden?«, wollte ich wissen.
»Bisher nicht. Aber man hat die Monster gesehen. Sie sind frei. Sie fliegen umher. Ich habe sie bis gestern nicht zu Gesicht bekommen, das mal vorweg, aber ich habe den Zeugen geglaubt, vor allen Dingen meinem Vater, der sie unbedingt auf eigene Faust bekämpfen und killen wollte.«
»Dann war er ebenfalls ein Zeuge?«
Laura nickte. »So musste ich seine Erzählungen wohl auffassen. Er muss sie gesehen haben. Ich habe noch versucht, ihn von seinem Tun abzuhalten und zu warten, bis ihr eingetroffen seid, aber er hat nicht auf mich gehört. Und jetzt ist er tot.« Sie senkte den Kopf und zog die Nase hoch.
Harry Stahl nickte mir zu. »Dann sollten wir uns das Haus mal aus der Nähe anschauen.«
»Okay.«
»Und ich fahre mit«, sagte Laura entschlossen. »In der Nähe steht noch der Wagen meines Vaters. Ich will ihn mit ins Dorf nehmen, wo er hingehört.«
»Klar, das kannst du.«
»Wie kann man das Haus erreichen?«, fragte ich. »Ich meine, dass es nicht einfach sein kann, wenn es dicht an einen Felsen gebaut ist.«
»Stimmt. Das ist nicht leicht. Ich bin durch eine Art Felskamin nach oben geklettert, der mit Steigeisen versehen ist. Die Straße führt ja unten vorbei. Wenn du oben bist, siehst du das Haus wie ein Vogelnest am Felsen kleben. Einen normalen Weg dorthin gibt es nicht. Man kann es nur zu Fuß erreichen. Der Erbauer wollte wohl von niemandem gestört werden. Und wer im Haus sitzt, der kann sich leicht verteidigen.«
»Wann wurden die Flugmonster denn gesehen?«, erkundigte ich mich.
»War es am Tag? War es in der Nacht?«
»Sowohl als auch. Aber ich habe mehr von der Dämmerung gehört. Das jedenfalls haben die Zeugen berichtet.«
»Sollten wir dann warten, John?«
Ich war nicht Harrys Meinung.
»Es ist besser, wenn wir uns einen ersten Überblick verschaffen, so lange es noch hell ist.«
»Ach, dazu muss ich euch etwas sagen.« Laura deutete nach draußen.
»Hier in diesem engen Tal wird es schnell dunkel. Na ja, um diese Jahreszeit haben wir nicht mehr viel Spielraum.«
Das stimmte. Die Sonne würde bald untergehen, das heißt, sie hatte sich gar nicht erst über den Berggraten gezeigt. Über dem Land lag ein blassblauer Himmel mit wenigen Wolken.
Harry schlug mit der flachen Hand auf den Tisch.
»Dann sollten wir uns auf den Weg machen.«
Da widersprachen weder Laura noch ich. Sie wollte sich nur noch etwas überziehen. Als sie zur Tür ging, sah ich, dass sie eine Waffe bei sich trug.
Harry und ich verließen den Raum ebenfalls und blieben auf dem Flur vor der Haustür stehen.
»Und, John, was denkst du über die Sache?«
»Ich glaube ihr.«
»Ja, ich auch. Ich frage mich nur, wer diese menschlichen Flugmonster sind und wie sie überhaupt dazu werden konnten.«
»Wir werden eine Erklärung dafür finden.«
Es war tatsächlich schon kälter geworden. Die Welt hier bereitete sich auf den Abend vor, und wir mussten uns wirklich beeilen, um im Hellen eine Besichtigung durchzuführen.
Laura verließ mit uns das Haus und sagte: »Ich muss mit euch
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