1552 - Tolots Terror
sich die Wölbung eines schwachen Schutzschirms, der schon seit sieben Jahren an diesem Platz stand. „Das, Baron, ist dein Kima-Strauch. Nach dem Tod deiner Mutter habe ich ihn hier gepflanzt. Ich habe ihn nie wieder aufgesucht, bis heute."
Baron verließ als erster seinen Ciffton-Pfeil. Der Junge kam auf die Beine und näherte sich langsam, fast widerstrebend der durchsichtigen Kuppel. Weißlich schimmernde Energie bildete einen Vorhang, der seit sieben Jahren Bestand hatte. „Welch ein angemessener Platz", sagte er zynisch. „Genau richtig für einen, der seine Mutter getötet hat. Ein solcher Linguide gehört möglichst weit weg von seinem Volk. Auf den Gipfel eines Berges, wo alle anderen nur die Hänge oder Täler bevölkern."
Prina zuckte zusammen. Sie hatte nie gewußt, daß er sich solche Gedanken machte. „Was redest du für einen Unsinn! In deinem Alter solltest du über solche Gedanken erhaben sein. Ich habe dich aus einem anderen Grund hergebracht, Baron!"
„Und der wäre?"
„Das kann man nicht erklären. Ich möchte, daß du hier bei deinem Lebensstrauch bleibst. So lange, bis du denkst, es ist genug."
Baron gab keine Antwort, doch er erweiterte per Fernsteuerung den Schutzschirm und trat an einer durchlässigen Stelle in den Schutz der Sphäre. Aus einem Tank strömte Luft nach. Sekunden später öffnete er seinen Helm.
Prina sah ihm mit ungutem Gefühl dabei zu. Und am meisten wunderte sie sich über die Form des Strauches: Es war ein kräftiger Strauch mit vielen Zweigen und grünen Blättern. Aber dennoch war etwas falsch daran, denn ausgerechnet die untersten Partien waren kahl. Sie sahen verkrüppelt aus.
Auch in den Bereichen oberhalb stimmte etwas nicht. Sie entdeckte es erst, als sie lange hingesehen hatte, und auch dann war sie sich nicht sicher. Gewiß, das Blattwerk hatte die richtige Farbe, die richtige Dichte. An manchen Stellen wirkte es sogar fein verschlungen und unzerreißbar. Aber auch hier fehlte die Linie. Kein Zweig wuchs von innen nach außen. Alle sahen aus, als fehle ihnen die Orientierung; als wüßten sie nicht, wohin ihre Kraft sich wenden müsse.
Ein Kima-Strauch war einem lebendigen Wesen gleichgestellt. Jeder Strauch war das Abbild eines Linguiden, mit ihm verbunden bis in den Tod.
Diesem Strauch fehlten Grundlagen.
Gegen ihren Willen rückte Prina ein wenig näher heran. Sie beobachtete, wie sich Baron neben dem Topf hinsetzte und unverwandt seinen Lebensstrauch anstarrte. In diesem Augenblick hatte der Junge für die Außenwelt keinen Blick mehr.
Prina Mauenhaudi erinnerte sich genau an den Tag vor sieben Jahren, als sie nach Nans Tod hierhergekommen war. Sie hatte mit einem Multiwerkzeug einen festen Steinblock ausgesucht und bearbeitet, bis in der Mitte eine große Mulde entstanden war. Dann hatte sie aus der Mondstadt Erde besorgt; Erde von Lingora.
Und ein einziger grüner Trieb war im Schutz des Feldes zurückgeblieben.
Der feste Steinblock von früher wies heute Risse auf. Man mußte ihn flicken, überlegte sie. Bevor er zerbrechen konnte
4.
Der erhoffte Effekt stellte sich nicht ein. Barons Art wandelte sich keineswegs zum Guten, wie sie es in ähnlichen Fällen schon hin und wieder gehört hatte. Auch bei ihr selbst war es so gewesen, erinnerte sich die Linguidin - im Alter von fünf Jahren hatte ihr erst der Kima-Strauch geholfen, sich selbst in die richtige Beziehung zur Umgebung zu setzen.
Der Junge dagegen vergrub sich nur noch mehr in seinem Zimmer.
Hätte nicht zumindest der Lehrer dagegen angehen müssen? Aber wie? In dieser Hinsicht war ein Computer mit Sicherheit überfordert.
Sie konnte nicht auf Hilfe hoffen. Aber auch sie selbst konnte die Entwicklung nicht mehr steuern.
Baron mußte seinen eigenen Weg gehen. Und steckte nicht Arroganz dahinter, seine Art zu verurteilen? Hatte er nicht dasselbe Recht wie alle anderen? Sie durfte nicht länger so tun, als sei sie berufen, Barons Persönlichkeit an irgendwelchen fragwürdigen Maßstäben zu messen.
Erst jetzt fiel ihr auf, daß niemand sich je über ihn beklagt hatte.
Baron war nicht beliebt. Verhaßt jedoch war er ebensowenig. Die Leute nahmen ihn so, wie er sich gab. Und hätte nicht auch in ihrer eigenen Art der Wille zur Beherrschung, zur Einflußnahme gelegen, sie hätte es vielleicht schon früher begriffen.
Prina konzentrierte sich lange Zeit auf den Ausbau der Kuppelstadt.
Gemeinsam mit Kogano Mint leitete sie die Roboter zum Aufbau der neuen Schaltzentrale
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