1552 - Tolots Terror
Linguide mit dichtem Haarwuchs, den er zu kunstvollen Wellen frisiert hatte. „Was treibt dich hierher? Ich dachte, du würdest heute nicht erscheinen. „ „Das kann ich mir nicht erlauben, das weißt du doch."
„Du überschätzt dich", meinte Kogano Mint. „Immerfort klagst du, du hättest keine freie Minute. Aber daran bist du selber schuld, Prina."
„Ich weiß es ja", antwortete sie ohne innere Überzeugung. „Aber Sagno Ciff ist mein Lebenswerk. Jeder sollte das verstehen. So, wie du dich um die Technik kümmerst, wie die Friedensstifter sich ganz der Sprache widmen, so trage ich die Verantwortung für diese Stadt.
Bis zu dem Tag, an dem ich euch alles vor die Füße werfe."
Kogano Mint lachte laut. „So etwas tust du nie. Du belügst dich selbst, Prina."
„Vielleicht. Aber wenn ich diese Arbeit auf mich nehme, habe ich das Recht dazu."
„Du hast jedes Recht, das du haben möchtest. Aber bedenke, du erfüllst nur die Aufgabe, die du am besten erfüllen kannst. Es ist keine bessere Aufgabe als die des einfachsten Arbeiters. Jedoch auch keine schlechtere als die, die ein Friedensstifter hat."
Prina rang sich ein Grinsen ab. „Ich bin deine Belehrungen leid, Kogano", antwortete sie halb ernst, halb im Scherz. „Zeige mir lieber, was ihr heute geschafft habt."
*
Als sie am nächsten Morgen erwachte, hörte sie aus Barons Zimmer bereits Stimmen. Der Junge und der Lehrer, und das um diese Zeit.
Sie klopfte leise an. Als keine Antwort kam, öffnete Prina die Tür und trat unaufgefordert ein. Baron saß tief versunken vor dem aktivierten Monitor und ließ sich Bilder aus dem Teshaar-System und den bekannten Teilen der Galaxis zeigen. Prina kannte sehr wohl die Faszination, die davon ausging. Sie selbst hatte damals nicht anders reagiert - als sie noch ein Kind gewesen war.
Ebenso leise wie zuvor verließ sie das Zimmer, tastete aus dem Küchenautomaten ein Frühstück und stellte es Baron vor die Nase.
Der Junge reagierte nur mit einem flüchtigen Blick, doch immerhin nahm er etwas von dem gebackenen Gemüse und trank Wasser dazu.
Mit ruhigem Gewissen machte sich Prina an die Arbeit.
Von Tag zu Tag nahm Barons Wissensdurst zu, und er vergrub sich regelrecht vor dem Lehrer, bis dieser abschaltete und ihn so zu anderweitigen Aktivitäten zwang. Wiederum vergingen Jahre. Baron wuchs schnell. Er war bald mehr als halb so groß wie Prina, hatte sie auf manchen Wissensgebieten sogar überholt. Besonders traf das auf den Bereich der Sprache zu. Dort, wo sie nie Talent gezeigt hatte, entwickelte Baron einen ausgeprägten Hang zu analytischem Denken.
Sie stellte sich oft hinter ihn und beobachtete die Arbeit mit dem Lehrer. Baron gab nie zu erkennen, daß er sich daran störte - denn in dem Fall hätte sie sofort damit aufgehört. Im Gegenteil, er genoß die Aufmerksamkeit sogar.
Wenn Prina allerdings gehofft hatte, ihm auf diesem Weg näherzukommen, hatte sie sich getäuscht. Der Junge legte sich einen immer dickeren Panzer zu. Schon seit langer Zeit gelang es ihr nicht mehr, zu ihm durchzudringen, ihn zu ehrlichen Reaktionen zu provozieren.
Ein Ereignis gab Prina Mauenhaudi besonders zu denken.
Es geschah, als sie Baron wieder einmal bei der Arbeit mit dem Lehrer beobachtete. „Gib mir die 87. Lektion", bat Baron mit ausdrucksloser Stimme. „Schon bereit", antwortete der Lehrer. „Ich lege den gesamten Text auf den Schirm."
Schriftzeichen erschienen auf dem Monitor.
Hajmayur, 87. Lektion, las Prina.
Der Meister fragte: „Was sind wir?"
Die Schülerin antwortete: „Wir sind Bestandteile des Universums und als solche allen anderen Bestandteilen gleichgestellt. Wir sind nicht weniger wunderbar als der Sternenwirbel einer Galaxis und nicht wichtiger als das kleinste Teilchen eines Atoms. Das gilt auch für alle anderen Lebewesen.
Dies bedeutet, daß alle Lebewesen gleichwertig sind."
Plötzlich drehte sich Baron Singhai zu ihr um. „Hast du gelesen?" fragte er mit hörbarer Schärfe in der Stimme. „Ja."
„Und was meinst du dazu?"
Sie dachte eine Weile nach. „Wer diese Lektion formuliert hat", sagte sie, „war ein kluger Denker. Er oder sie hat das getroffen, was die Einstellung unseres Volkes zu einem guten Teil ausmacht."
Baron lachte verächtlich. „Kein kluger Denker. Das sind dumme Gedanken. Denn was sollte ein Volk überhaupt erst aus der Primitivität aufsteigen lassen, wenn nicht die Unzufriedenheit? Und Unzufriedenheit erwächst aus Eigennutz. Eigennutz wiederum
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