1552 - Tolots Terror
nicht an die Arbeit.
Ich muß dir etwas zeigen."
„Du weißt, daß ich mir das nicht erlauben kann."
„Unsinn!" versetzte er heftig. „Du hast für alles Zeit, wofür du Zeit haben willst!"
Sie zuckte zusammen wie unter einem Schlag. Es war das erstemal, daß er so mit ihr geredet hatte - und vielleicht, dachte sie„hatte sie es nicht anders verdient. „Das stimmt nicht", gab sie lahm zurück. „Für heute ist ein schweres Pensum vorgesehen."
„Kogano Mint schafft es ohne dich", sagte Baron. „Er wird womöglich froh sein, wenn er dich einmal einen Tag lang nicht zu Gesicht bekommt. Dann hat er hoffentlich Zeit zum Nachdenken."
Sie fühlte, wie ihr Herz heftig zu pochen begann. „Wie meinst du das?" rief sie. „Was geht dich Kogano Mint an?"
„Gar nichts. Aber ich bin nicht blind. Ich weiß, was du von mir denkst. Du glaubst, daß du in meinem Fall versagt hast und daß du niemals imstande sein wirst, es besser zu machen. Und ich weiß, welche dummen Schlüsse du für dein eigenes Leben daraus ziehst."
Plötzlich wußte sie nicht mehr, wo ihr der Kopf stand. „Verdammtes Kind!" schleuderte sie ihm an den Kopf. „Denkst du, du wärest besser? Auch nur um ein bißchen?"
„Nein." Baron sprach jetzt völlig ernsthaft und ohne jede Aggressivität. „Ich kenne meine Probleme und weiß, daß ich sie nicht lösen kann. Du aber läßt dich gehen. Deine Gründe sind fadenscheinig.
Wenn du für dich selber überhaupt Gründe brauchst."
„Hast du mir aufgelauert, um mir das zu sagen?"
„Nein, Prina. Das ist Zufall, eine bedauerliche Entwicklung. Ich liebe es nicht, über diese Dinge zu reden. Du solltest aber nicht denken, daß ich nicht fähig wäre, mir Gedanken zu machen. - Nun zum wahren Grund des Gesprächs. Ich will dir etwas zeigen. Wir nehmen Ciffton-Pfeile und müssen lange fliegen."
„Ich fliege ganz bestimmt nicht mit."
Baron lachte sarkastisch. „Ich verspreche dir, Prina, daß ich eine große Sensation für dich habe. Wenn du es gesehen hast, wirst du an dieses Gespräch gar nicht mehr denken müssen. Und ist das nicht genau das, was du dir sehnlichst wünschst?"
Sie schluckte. „Du redest, als könntest du die Zeichen lesen."
„Wer sagt dir, daß ich es nicht kann?"
„Nur Schlichter und Friedensstifter sind dazu imstande. Ich... ich hätte dich als Kind zum Test bringen sollen."
„Das hättest du. Aber nun ist es zu spät dafür. Denken wir nicht über verlorene Möglichkeiten nach. Denken wir lieber an die Gegenwart.
An die Überraschung."
„Was ist es?" fragte die Linguidin mit erwachender Neugierde. „Du wirst dich überraschen lassen. Glaube nur nicht, ich würde scherzen."
„Ja", sagte sie nachdenklich, „das weiß ich, Baron. Ich komme mit."
In diesen Sekunden entstand zwischen ihnen eine stumme Vereinbarung; keiner von beiden würde das Thema wieder anschneiden, solange der augenblickliche Status quo Bestand hatte.
Wortlos bestiegen sie eine der langsamen, schwebenden Plattformen.
Sie ließen sich zum nächsten Ausgang in westlicher Richtung treiben. Dort bestiegen sie Ciffton-Pfeile.
Prina Mauenhaudi nahm kaum etwas wahr davon. Jeder Handgriff war ihr längst in Fleisch und Blut übergegangen. Deshalb füllten in ihrem Geist wirre Gedanken jeden verfügbaren Raum, und aus den Tiefen stiegen lange verdrängte Erinnerungen auf.
Wie vor langer Zeit, als sie Baron zu seinem Lebensstrauch geführt hatte.
Welch ein angemessener Platz. Genau richtig für einen, der seine Mutter getötet hat. Ein solcher Linguide gehört möglichst weit weg von seinem Volk. Auf den Gipfel eines Berges, wo alle anderen nur die Hänge oder Täler bevölkern.
Und heute die neuen Worte, die sie mindestens ebensosehr schokkierten.
Ich kenne meine Probleme und weiß, daß ich sie nicht lösen kann.
War es das, was ihm so sehr zu schaffen machte? War es so einfach, den Finger auf die Wunde zu legen? Prina vermochte es sich fast nicht vorstellen. Wenn dem jedoch so war, existierte wirklich kein Ausweg mehr, und sie konnten nur noch versuchen, in einer verfahrenen Lage den Mut nicht völlig zu verlieren.
Welch eine Vergeudung von Talent ... Mit jeder Unterhaltung, die sie und Baron führten, wurde seine Intelligenz ihr mehr offenbar.
Was hätte aus ihm werden können, hätte sie sich ihm nur gewachsen gezeigt? Vielleicht ein Schlichter oder Friedensstifter, und dann hätte statt Honn oder diesem Aramus Shaenor er die Schule begründet. „Prina!" hörte sie über Funk. „Wo bleibst
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