1556 - Mongolen-Tod
ihre alten Eltern im Kugelhagel einer Maschinenpistole zusammenbrechen. Geschossen hatte ein Mann, der so etwas wie eine Uniform trug und seine Mütze tief in die Stirn gezogen hatte. Wer sich wehrte, wurde gnadenlos getötet - bis auf bestimmte Ausnahmen.
Jungen Frauen, oft kaum dem Kindesalter entwachsen, krümmte man kein Haar. Sie trieb man zusammen. Sie wurden auf einen Lastwagen geladen.
Danach gingen zwei Männer durch die Ansiedlung, in der die Stille des Todes Einzug gehalten hatte. Es gab so gut wie kein Leben mehr, und wer noch am Leben war, der hatte einen Schock erlitten oder war verwundet worden.
Sarina lebte.
Sie empfand es nicht als Wunder, sondern als Schicksal und als eine Aufgabe für die Zukunft.
Beim Überfall hatte sie es geschafft, sich zu verstecken. Sie lag begraben unter einem Stapel aus Holz, und es war reiner Zufall gewesen, dass sie sich dort aufgehalten hatte, um Nachschub für das Feuer zu holen.
So hatte sie die Gelegenheit nutzen können, um zu überleben. Ein schlechtes Gewissen hatte sie nicht bekommen, denn in ihr war eine Stimme aufgeklungen, die ihr riet, sich nicht zu zeigen oder sich den Angreifern zu stellen.
Sarina hatte auf diese Stimme gehört, aber sie war auch Zeugin des Grauens geworden, und sie hatte erlebt, wie die jungen Frauen verschleppt wurden.
Ihre Schwester Mai Tong war die letzte Person gewesen, die zwei Männer auf den Wagen zu schleppten. Sechzehn Jahre alt war sie. Das ganze Leben lag noch vor ihr, und sie hatte sich vorgenommen, der älteren Sarina nachzueifern.
Das war nun vorbei.
Sie wehrte sich, und die Männer schlugen Mai Tong zusammen, bevor sie sie auf die Ladefläche des Wagens warfen. Ein junger Mann wollte sie noch retten trotz seiner Verletzung. Er war angeschossen worden und kroch auf allen Vieren dem Wagen entgegen.
Kugeln hatten seinem Leben ein Ende gesetzt.
Das alles hatte Sarina mit ansehen müssen. Ihre Gefühle konnte sie nicht beschreiben. Alles in ihrem Körper schrie auf. Ihr Geist war erfüllt mit tödlichen Rachegedanken, und sie wollte hinrennen, um sich eine Waffe zu schnappen.
Deine Zeit kommt noch. Du musst jetzt standhaft bleiben.
Es war eine Stimme in ihrem Kopf gewesen, die sie zuvor noch nicht gehört hatte.
Aber sie folgte ihr, auch wenn es ihr wahnsinnig schwer fiel.
Sie dachte daran, was man ihr im Kloster beigebracht hatte. Alles hatte seine Zeit.
Nichts lief weg. Nur die Ruhe und die Überlegung konnten es bringen.
Und so blieb sie in ihrer Deckung hocken. Sie schaute aus verweinten Augen zu und beobachtete, wie die brutalen Männer in ihre Wagen kletterten, deren Motoren beim Anfahren dröhnten wie die Trompeten des Todes.
Sie fuhren weg, und erst nach einer Weile, als sich der Staub gesenkt hatte, verließ Sarina ihr Versteck.
Sie ging durch die Ansiedlung wie eine lebende Tote. Das erlebte Grauen hatte sie sprachlos gemacht. Sie spürte auch nicht die Kälte der Wüstennacht, denn in ihr brannte ein verzehrendes Feuer. Sie sah die Toten, nur die Toten, denn es gab keine Verwundeten mehr. Alle waren getötet worden, denn die grausamen Mörder wollten keine Zeugen zurücklassen.
Etwas rann brennend wie Feuerstreifen aus Sarinas Augen über ihre Wangen. Es waren Tränen, die sie vergoss und vergießen musste, weil es ihr so etwas wie eine erste Erleichterung verschaffte. Aber in ihrem Innern blieb der Hass zurück, und sie nahm sich vor, Rache zu nehmen.
Für die Menschen, die sie so liebte, war es das Ende gewesen. Für sie allerdings ein Anfang.
Sie nahm Abschied von ihrer Heimat, und sie wusste, dass sie nicht mehr hierher zurückkehren würde. Ihr Ziel stand fest. Sie würde herausfinden, wer diese Männer waren, die ihre Schwester und andere Frauen und Mädchen aus dem Dorf entführt hatten. Und sie würde sie finden, selbst wenn sie sich am Ende der Welt versteckt hielten. Aber sie würde nicht durchdrehen, sondern - methodisch vorgehen. Es kam ihr zugute, dass sie viele Menschen kannte, die Augen und Ohren hatten, um zu sehen und zu hören.
Und sie hörte wieder die Stimme in ihr.
Du bist ausersehen. Ich werde dich stark machen, stärker, als das Feuer es je gewesen ist.
»Wer bist du?«, schrie sie in die Dunkelheit der Nacht.
Ich bin dein Schutz, dein Begleiter, auf den du dich immer verlassen kannst. Du hast immer an uns geglaubt, und das wird von nun an deine Kraft und dein Schutz sein.
Allein stand sie in der Nacht. Die Feuer waren so gut wie verloschen. Vor sich sah sie nur noch
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