1561 - Wächterin der Nacht
anders aus. Dann wollten sie das Kreuz nicht sehen, weil sie seinen Anblick nicht ertrugen. Bei Judy war das nicht der Fall.
Schließlich flüsterte sie: »Jetzt weiß ich es. Wenn ich es anschaue, dann habe ich das Gefühl der Ehrfurcht. Respekt oder so…«
»Das ist nicht ungewöhnlich.«
»Meinen Sie?«
»Ja, Sie können es mir glauben.« Mit dem linken Zeigefinger deutete sie auf meinen Talisman.
»Und dieses Kreuz hat es geschafft, Liliane zu stoppen?« Sie lachte auf. »Wie ist das möglich gewesen?«
»Weil in ihm eine starke Kraft ist.«
»Aha.«
Sie hatte meine schlichte Antwort nicht verstanden, das wusste ich.
»Es ist ein uraltes und auch sehr besonderes Kreuz, und es ist eine Abwehr gegen die Mächte des Bösen.«
»Sie meinen den Teufel und die Hölle?«
»Ja, das meine ich.« Judy lehnte sich zurück. Ihre Kiefern bewegten sich, als würde sie auf einem Kaugummi kauen. Ihrem Gesicht war abzulesen, worüber sie nachdachte. Bald schon erhielt ich die Bestätigung.
»Dann ist das Kreuz auch eine Waffe gegen Liliane gewesen.«
»Das muss man so sehen.«
»Und sie ist alles andere als eine gute Person.«
»Das können Sie so sagen.« Vor der nächsten Frage zögerte sie. Das Blut stieg ihr sogar in den Kopf.
»Ich muss mal etwas ganz Verrücktes sagen, Mr. Sinclair. Es geht um die Engel, die wir Menschen ja als unsere guten Beschützer sehen. Kann es nicht auch umgekehrt sein? Gibt es Engel, die schlecht sind? Engel, die zur Hölle oder zum Teufel gehören? Ist das möglich?« Judy King hatte eine ehrliche Frage gestellt, und so sollte sie von mir auch eine ehrliche Antwort erhalten.
»Ja«, sagte ich deshalb, »es gibt diese anderen Engel oder Geschöpfe ebenfalls.«
Sie atmete einige Male heftig ein und wieder aus. Es war eine Wahrheit, die sie erst verarbeiten musste, was bei ihr allerdings sehr schnell ging, denn sie sagte: »Dann weiß ich jetzt endgültig, zu welcher Kategorie Liliane gehört.«
»Da möchte ich nicht widersprechen.«
»Ein tödlicher Engel also, der fast so aussieht wie ich. Oh, das kann ich nicht fassen, Mr. Sinclair. Und jetzt…«
»Bitte, Judy, zerbrechen Sie sich nicht den Kopf. Sie brauchen diesen Fall nicht allein zu lösen. Wir werden ihn uns gemeinsam vornehmen. Ich bin sicher, dass wir eine Lösung finden.«
»Ja, das hoffe ich«, flüsterte sie, um sofort die nächste Frage zu stellen. »Bleibt es denn dabei, dass wir zum Friedhof und zum Grab meiner Mutter gehen?«
Ich nickte.
»Sollen wir jetzt los?«
»Ja«, sagte ich, »je früher, umso besser. Ich möchte nicht, dass noch etwas Schreckliches passiert.«
»Ja, das kann ich verstehen…«
***
Suko musste kein zweites Mal hinschauen, um zu wissen, dass Ari Cosmo in höchster Lebensgefahr schwebte. Er selbst sah es nur nicht, und das war das Problem.
Die gar nicht mal so unheimlich aussehende Gestalt hatte die Gabe, sich lautlos zu bewegen, und das auch durch eine feste Materie wie Stein oder Glas.
Noch hatte der Engel das Hindernis nicht überwunden. Suko erkannte nicht genau, ob er sich noch vor der Scheibe befand oder bereits in ihr steckte, aber das war im Moment unwichtig.
Er musste schneller sein, und noch vor ihm musste Ari Cosmo reagieren, der von der tödlichen Gefahr auch weiterhin nichts mitbekam.
Suko war leider noch nicht nah genug bei ihm. Er wollte auch nicht seinen Stab hervorholen, um die Zeit für fünf Sekunden zu stoppen, weil er nicht wusste, ob dieser Engel auf das magische Wort reagierte.
So blieb ihm nur der Warnruf.
»Cosmooo…«
Der Schrei hallte über den Flur und erreichte auch die Ohren des Regisseurs.
Der zuckte zusammen und sah Suko auf sich zulaufen.
»Runter! In Deckung!«
Mehr konnte Suko nicht für ihn tun. Und der Inspektor war froh, dass Cosmo gehorchte. Der Schrei lag noch in der Luft, als er sich auf der Bank zur linken Seite warf und dabei vor Schmerzen schrie.
In diesem Augenblick ließ der Engel die Scheibe hinter sich.
Suko rannte, als ginge es um sein Leben. Seine Absätze hinterließen hämmernde Laute auf dem Boden. Er zog seine Beretta nicht, weil er bezweifelte, dass eine Kugel etwas gegen die Gestalt ausrichten konnte, die keinen normalen Körper hatte, sondern feinstofflich war, wobei die Waffe nicht dazu zählte.
Ari Cosmo lag noch immer auf der Bank. Das war für ihn auch am besten.
Der Engel kümmerte sich nicht um ihn, denn er sah sich jetzt einem neue Gegner gegenüber.
Es gab in dieser Umgebung Platz genug, und Suko
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