1564 - Wenn die Toten sprechen
es.«
»Ich - ich - habe bei ihrem Anblick an einen Engel denken müssen. Verstehen Sie?«
»Sicher.«
»Von ihr ging nichts Böses aus, Mr. Sinclair. Es gibt nur wenige Menschen, von denen man das behaupten kann. Aber bei Maria ist es so gewesen. Sie war so rein, so anders. Das dunkle Haar, die helle Haut, dann ihre Ausstrahlung, die mir so ätherisch vorkam, als wäre sie von etwas umgeben, das wir Menschen nicht an uns haben. Ich hätte sie gern danach gefragt, aber das ging nicht mehr, denn sie war plötzlich verschwunden. Wir konnten sie ja nicht aufhalten. Wir schauten ihr nur nach und da - da…«
Mike half seiner Frau, die ins Stottern geraten war.
»Da war sie plötzlich weg, und wir haben nicht gesehen, dass sie die Haustür geöffnet hätte.«
Jetzt wurde es interessant. Das ahnte auch Frank Taylor, denn er stieß ein Seufzen aus.
»Meinen Sie, dass sich Maria einfach aufgelöst hat?«, fragte Suko.
Beide Hartmanns zuckten zusammen.
»Kann es sein?«, bohrte ich nach.
»Wir haben es so empfunden«, flüsterte Mike.
»Was auch im Protokoll steht«, erklärte der Kollege Taylor. »Das ist ja das Problem. Von uns hat das niemand begriffen, und ich denke, dass wir es auch nicht begreifen können, aber es ist eine Tatsache und eine Parallele zu dem Fall, den Commander Brix mit seinen Männern erlebt hat. Völlig unerklärlich. Zumindest für mich. Da weiß ich mir wirklich keinen Rat mehr, und ich glaube auch nicht, dass die beiden Zeugen gelogen haben.«
Das sahen Suko und ich auch so. So wie sie verhielten sich keine Lügner.
»Aber Sie haben mit Maria gesprochen?«, fragte Suko.
»Klar.« Mike hob die Schultern. »Nachdem sie uns aus dem Zimmer entgegengetreten war, in dem die Tote lag. Die Schreie der Sterbenden hatten uns schon in einen ersten Schockzustand versetzt. Der zweite kam dann später, als wir sahen, was in dem Hotel wirklich passiert war. Aber da war bereits die von mir alarmierte Polizei eingetroffen.«
Ich stellte meine nächste Frage. »Und diese Maria hat auch nicht angedeutet, wohin sie gehen wollte?«
»Nein. Mit keinem Wort.«
Suko war an der Reihe. »Hat sie etwas über ein Mordmotiv gesagt? Oder laut darüber nachgedacht?«
»Nein. Wir waren auch nicht lange mit ihr zusammen. Wie gesagt, sie ging dann fort.«
»Ja, das wissen wir bereits.« Ich wollte von dem Kollegen Taylor erfahren, wie die Frau ums Leben gekommen war.
»So genau wissen wir das noch nicht. Da muss die Untersuchung abgewartet werden. Aber wir gehen davon aus, dass die Mordwaffe ein Messer gewesen ist.«
»Verstehe.« Ich wandte mich wieder an die Hartmanns. »Und Sie haben keine Spuren von Blut an der Kleidung des Mädchens gesehen?«
»Nein, wie kommen Sie darauf?« Silke wäre beinahe von ihrem Stuhl hochgesprungen. »Maria ist doch keine Mörderin!«
»Schon gut«, sagte ich. »Jedenfalls ist sie etwas Besonderes und hat es geschafft, von einem Moment zum anderen zu verschwinden.«
»Das schon.«
Ich schaute den Kollegen an, der nur seine Schultern anheben konnte.
Taylor sagte: »Wir sind ebenso schlau wie Sie, Mr. Sinclair. Dieses Mädchen bleibt für uns ein Phantom.«
»Aber es gibt Maria«, sagte Silke.
»Das bezweifeln wir auch nicht«, erwiderte Suko mit ruhiger Stimme.
»Und ich denke, dass sie zu Ihnen Vertrauen gehabt hat.«
»Das weiß ich nicht genau.« Silke schüttelte den Kopf. »Mike und ich können das alles immer noch nicht begreifen. Es kommt uns wie ein Albtraum vor. Wie kann jemand einfach verschwinden, sodass es aussieht, als würde er sich auflösen?«
»Da haben Sie recht«, sagte Suko und wollte danach wissen, was die Hartmanns nun vorhatten. »Bleiben Sie noch in London oder…«
Frank Taylor mischte sich ein.
»Sie werden noch in der Stadt bleiben. Ich habe sie darum gebeten. Die Hartmanns sind Zeugen, die wir unter Umständen für weitere Aussagen brauchen.«
Ich nickte. »Und wo werden sie unterkommen?«
Wieder gab der Chiefinspektor die Antwort. »Ich habe ihnen ein kleines Hotel in der Nähe besorgt. Dort lassen wir öfter Menschen wohnen, die wichtig für uns sind.«
Dagegen war nichts einzuwenden. Wenn ich mir die Hartmanns allerdings genauer anschaute, dann sahen sie nicht so aus, als würde ihnen ein weiterer Aufenthalt Freude bereiten. Aber ich konnte auch den Kollegen verstehen.
Seine Frage galt Suko und mir. »Haben Sie mittlerweile einen Plan, was Sie unternehmen wollen?«
»Klar«, antwortete ich recht locker. »Wir müssen Maria finden.
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