1564 - Wenn die Toten sprechen
haben.«
»Danke.« Ich lächelte sie an. »Es ist ja so, Maria. Wir haben dich nicht gesucht, um dich zu verhaften oder was immer du dir auch gedacht hast. Es geht uns um etwas anderes. Du hast ein Leben gerettet, und das auf eine ungewöhnliche Weise. Es ist einfach fantastisch gewesen, verstehst zu?«
»Ich weiß nicht so recht.«
»Zu fantastisch für viele Menschen. Sie wollen wissen, was da wirklich abgelaufen ist. Alle freuten sich, dass ein Menschenleben gerettet werden konnte, aber man möchte mehr wissen. Man möchte erfahren, woher du deine Kenntnisse oder dein Wissen hast. Nicht mehr und nicht weniger. Du brauchst also keine Sorge zu haben, dass wir dir etwas tun oder dich festsetzen lassen. Nein, das geht schon alles in Ordnung. Wie ist das? Reicht dein Vertrauen aus, um mir die ganze Wahrheit zu erzählen? Deine Wahrheit, dein Schicksal?«
Ich hatte lange gesprochen und dabei festgestellt, dass mich das Mädchen immer intensiver anschaute. Ein forschender Blick, als wollte sie bis auf den Grund meiner Seele schauen, um herauszufinden, ob ich es wirklich ehrlich meinte.
Nach einigen Sekunden vernahm ich ihre Antwort.
Und ich hörte, dass sie es wirklich ehrlich meinte, aber sie kam nicht sofort zur Sache. Erst musste sie noch etwas loswerden, und damit begann sie auch.
»Ich bin nicht so gut. Ich habe versagt.«
»Wobei?«
Maria senkte den Kopf wie jemand, der sich für etwas schämte.
»Bitte, du kannst uns vertrauen.«
»Ja, ja, das denke ich schon. Sonst wäre ich auch längst weg. Aber in diesem Haus ist ein schrecklicher Mord geschehen, den ich nicht habe verhindern können.«
»Edith Butler meinst du?«
»Ja. Ich kam erst, als sie schon ermordet auf dem Tisch lag. Ich sah auch das Blut und habe alles so schrecklich gefunden. Da merkte ich, dass auch mir Grenzen gesetzt sind.«
»Hast du denn darüber nachgedacht, wer Edith Butler getötet haben könnte?«
Maria nickte. Nur erhielt ich nicht sofort eine Antwort. Sie sah mich etwas skeptisch an, und ihre dunklen Augen schwammen plötzlich im Tränenwasser.
»Es waren die Schergen der Hölle«, sagte sie mit leiser Stimme.
»Die Hölle also?«
»Der Teufel«, hauchte sie und bekam eine Gänsehaut. »Er will meine guten Taten verhindern. Er macht Jagd auf mich. Er will mich haben. Ich soll ihm gehören.«
Das war für mich etwas ganz Neues, und ich sperrte meine Ohren weit auf.
»Glaubst du mir?«, flüsterte sie.
»Das ist nicht leicht, aber ich vertraue dir und möchte wissen, was du mit dem Teufel zu tun hast und in welch einem Zusammenhang du zu ihm stehst.«
»In keinem.«
»Wieso?«
»Ich hasse ihn.«
»Das ist normal.«
»Ich will ihn auch nicht!«, zischte sie.
»Aber du kannst dich nicht dagegen wehren - oder?«
Marias Blick wurde starr. »So ist es. Er will mich haben! Ich soll zu ihm. Er will mich nicht aufgeben, und er will es der anderen Seite zeigen.«
Ich horchte auf, denn ich hatte Worte gehört, über die ich nur den Kopf schütteln konnte. Zugleich war mir klar, dass ich durch meine Fragen die Tiefen ihrer Seele erreicht hatte, und dort waren die Ängste aufgewühlt worden.
»Der anderen Seite?«
Sie nickte.
»Und was hast du mit dem Teufel zu tun? Es muss doch einen Grund dafür geben, dass er dir auf den Fersen ist. Bitte, den möchte ich erfahren.«
Sie hatte meinen Wunsch verstanden, nickte auch, aber sie hielt den Mund noch verschlossen.
Mit leiser Stimme erklärte ich ihr, dass ich für alles Verständnis hätte, auch dafür, was die Hölle anging.
Dann präzisierte ich. »Zwar stehe ich auf der anderen Seite, und das voll und ganz, aber ich weiß auch, was es bedeutet, sich mit dem Teufel anzulegen. Ich führe gegen ihn und seine Schergen einen unerbittlichen, ewigen Kampf, und ich möchte irgendwann einen Sieg erringen. Den absoluten werde ich nicht schaffen, aber die wenigen Kleinigkeiten oder Mückenstiche können auch ihn nerven.«
»Du sprichst so von ihm, als würdest du ihn näher kennen«, flüsterte sie.
»Vielleicht trifft das sogar zu. Wer weiß. Und ich trage nicht grundlos das Kreuz bei mir.«
»Ja, das glaube ich. Deshalb habe ich Vertrauen. Das ist seit meiner Kindheit nicht gestorben. Auch jetzt glaube ich daran, was sehr wichtig für mich ist.«
Ich nahm die Kindheit als Aufhänger und sprach davon, dass sie noch nicht lange zurücklag.
»Ja, das ist wohl wahr.«
»Hat es dort angefangen?«
Maria holte durch die Nase Luft, was ziemlich geräuschvoll geschah.
Danach
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