1564 - Wenn die Toten sprechen
saß auf dem Bett. Den Kopf hielt sie nicht mehr gesenkt. Mit ihrem verweinten Gesicht schaute sie Mike an.
Er konnte sogar lächeln. Dann ging er vor, setzte sich auf die Bettkante und nahm Silkes Gesicht in seine Hände.
»Du kannst beruhigt sein, Liebes. Ich habe nichts mehr gehört. Gar nichts. Keine Stimmen und auch keine Schritte. Wer immer da unten war, er ist wohl jetzt weg.«
»Bist du sicher?«
»Ich gehe mal davon aus.«
»Und wenn nicht?«
Er schüttelte den Kopf. »Daran sollten wir jetzt nicht denken.«
»Ja, gut. Was hast du vor?«
»Ich weiß nicht. Was meinst du?«
»Wir ziehen uns an und verschwinden aus diesem Haus.«
Das war Mike nicht recht. »Wir können uns nicht einfach von hier wegschleichen. Wir sollten uns davon überzeugen, dass sich wirklich niemand mehr im Haus aufhält.«
»Das ist zu gefährlich, Mike.«
»Denk daran, dass Edith Butler uns immer gut behandelt hat. Wir müssen Bescheid wissen. Vielleicht können wir was für sie tun.«
»Ja, da hast du recht. Ich ziehe mich jetzt an. Sollen wir auch schon packen und die Taschen mitnehmen?«
»Ja, das wäre nicht schlecht.«
Silke und Mike beeilten sich. Aber sie sahen auch zu, dass sie nicht zu viele Geräusche verursachten. So leise wie eben möglich bewegten sich die beiden. Auf eine Dusche verzichteten sie. Eine schnelle Gesichtswäsche musste reichen.
Beide trugen Jeans, Hemden und Jacken. Ihr Gepäck bestand aus zwei Reisetaschen und einem Rucksack, den sich Mike umschnallte. Er nahm auch noch eine Tasche hoch und wartete darauf, dass seine Frau ebenfalls fertig wurde.
»Können wir?«
Silke nickte.
Mike übernahm die Führung. Auch jetzt trat er nicht normal auf, sondern recht leise. So wie er ging jemand, der dem Frieden nicht traute, und das traf bei ihm zu.
Wie zwei Diebe schlichen sie aus dem Zimmer. Es war gut, dass der Boden nicht aus Holz bestand, sondern aus Steinplatten. Die großen viereckigen Fliesen waren so verlegt, dass sie ein Rautenmuster bildeten, und das fand sich überall im Haus wieder. Sie erreichten die Treppe, schlichen sie hinab, und dann auch die zweite.
Es war niemand da, der sie erwartet hätte. Kein Killer mit einem Sägemesser oder einer Machete, um ihnen damit die Köpfe abzuschlagen. Das Haus war so still, dass der Begriff totenstill schon besser passte.
Als sie das Erdgeschoss erreichten und die Haustür in der Nähe sahen, atmeten sie durch. Jetzt waren es nur ein paar Schritte in die Freiheit, aber Mike zögerte.
Silke ging schon einen Schritt vor. »Komm doch, bitte.«
»Nein.«
»Was hast du denn?«
»Ich möchte nachsehen, was passiert ist.«
Damit war Silke nicht so richtig einverstanden. »Wieso? Was willst du denn sehen?«
»Es geht um Edith Butler. Wenn ich jetzt gehe, habe ich das Gefühl, sie im Stich zu lassen. Ob sie nun lebt oder tot ist. Ich möchte zumindest Gewissheit haben. Das sind wir ihr einfach schuldig, finde ich.«
Silke überlegte nicht lange. Auch sie wusste, dass sie hier im Haus wie Freunde behandelt worden waren, und deshalb konnten sie nicht sangund klanglos abhauen, ohne zu wissen, was mit Edith Butler geschehen war.
»Gut, Mike, dann lass uns nachsehen.«
»Danke.« Er deutete in den Flur hinein. »Ob wir sie zunächst mal rufen? Was meinst du?«
»Nein, sie wird uns keine Antwort geben. Wir müssen auf etwas Schlimmes gefasst sein.«
Es war ein Satz, den beide nicht so leicht verarbeiten konnten. Aber er entsprach der Wahrheit - nach dem, was sie alles in ihrem Zimmer gehört hatten.
Beide mussten erst noch Mut fassen. Silke fuhr durch ihr dunkelblondes Haar. Sie war eigentlich eine Frohnatur, doch jetzt prägte nackte Angst ihr Gesicht, das so blass geworden war, dass ihre Lippen kaum auffielen. Dabei hob und senkte sich ihre Brust unter tiefen Atemzügen.
Mike, dessen braunes Haar halblang wuchs, hatte sich seit zwei Tagen nicht rasiert, und so lagen dunkle Bartschatten auf seinen Wangen. Er schaute auf das Deckenlicht, das nicht ausgeschaltet worden war.
»Wo könnte sie denn sein?«
»Wir sollten hier unten in den privaten Räumen nachschauen.«
»Okay.«
Sie fühlten sich beide nicht wohl in ihrer Haut. Sie wussten, dass etwas Schreckliches vor ihnen lag, aber da mussten sie durch, wenn sie Bescheid wissen wollten.
Sie stoppten vor der ersten Tür. Dahinter lag der Raum, in dem Seminare abgehalten wurden.
»Meinst du, hier ist es?«, flüsterte Silke.
»Das werden wir gleich haben.« Mike ging die restlichen Schritte und
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