1569 - Carlottas Todesangst
Räumen der Praxis hatte sie abgeschlossen. Es gab da eine Metalltür, die beide Teile des Hauses verband. Carlotta wollte den Angreifern nicht ein zu großes Areal überlassen. Dass sie kommen würden, stand für sie fest. Es gab keine andere Möglichkeit für sie. Was hätten sie anders tun sollen?
Wieder einmal schaute sie durch das breite Wohnzimmerfenster hinaus.
Ihr Blick glitt über das weite Feld hinweg, bis hin zu einem dunklen Streifen. Von hier aus war es nicht zu erkennen, dass es sich um einen Wald handelte.
Zwischen dem Haus und dem dunklen Streifen bewegte sich nichts. Von dort würde auch niemand kommen.
Wie sollte sie sich verhalten? Fliehen, was möglich war durch ihre Flügel, aber das war nur der letzte Ausweg, wenn sie absolut keine Chance mehr sah, Maxine helfen oder sie retten zu können.
Carlotta drehte sich wieder um, weil sie zur Haustür gehen wollte.
Nach dem zweiten Schritt vernahm sie die Melodie des Handys, das sie bei sich trug. Ein Adrenalinstoß jagte durch ihren Körper.
Sie meldete sich mit leiser Stimme.
»Hallo, Carlotta. Wenn du uns jetzt die Haustür öffnen würdest, könnten wir sogar zu dir hineinfahren…«
Eine Name, ein Schrei, ein Jubelruf.
»John, endlich! Ich kann es noch gar nicht glauben!«
»Dann komme sofort zur Tür.«
***
Und wie sie kam.
Carlotta war zu einem regelrechten Wirbelwind geworden. Sie rannte unserem kleinen Leihwagen entgegen, einem Nissan, und ich war es, der ihre Freude und Erleichterung als Erster zu spüren bekam. Noch beim Aussteigen fiel sie mir um den Hals und zerrte mich dabei zurück, wobei sie weiterhin an meinem Hals hängen blieb.
Schließlich drückte ich sie von mir weg, und Carlotta schaute mich aus großen Augen an.
»Das hätte ich nicht gedacht, dass ihr so schnell hier seid«, flüsterte sie dann.
Ich lächelte sie an. »Wir haben den nächsten Flug genommen.«
»Das Warten war so schlimm«, flüsterte sie. »Es war einfach furchtbar, versteht ihr?« Sie hob die Schultern und ging zu Suko, den sie auch begrüßte. Nur nicht so stürmisch, wie es bei mir der Fall gewesen war.
Aber ich kannte das Vogelmädchen auch schon etwas länger.
»Wenn jetzt noch Maxine hier wäre, das wäre toll«, flüsterte Carlotta und presste die Lippen zusammen. Sie schüttelte sich. »Vielleicht wird sie gar nicht mehr kommen. Vielleicht ist sie schon tot.«
»Das ist noch längst nicht sicher«, sagte ich und deutete auf die offene Haustür. »Wir sollten nicht länger hier draußen herumstehen, sondern hineingehen.«
Suko sagte: »Ich werde den Wagen hinter das Haus fahren. Dann sieht man nicht gleich, dass du Besuch hast, wenn unsere Gäste hier eintreffen.«
Carlotta und ich gingen ins Haus. Auf ihren Lippen lag so etwas wie ein glückliches Lächeln, was aber den traurigen Ausdruck der Augen nicht vertreiben konnte.
Ich ließ die Tür für Suko offen und sah, dass Carlotta auf die offene Küchentür zuging. »Ich hole uns was zu trinken, John. Was möchtest du?«
Jetzt musste ich lachen, weil ich an etwas erinnert wurde.
»Gibt es denn noch diesen tollen Apfelsaft, den ich hier kennengelernt habe?«
»Ja, den gibt es noch.«
»Dann bitte.«
Ich war einige Male hier oben in Dundeen bei der Tierärztin gewesen und kannte mich in ihrem Haus aus, als würde auch ich hier leben. Eine angenehme Kühle umgab mich, als ich das Wohnzimmer betreten hatte, und ich schloss für einen Moment die Augen und wünschte mir, dass ich im nächsten Augenblick Maxine in meiner Nähe sehen würde, wenn sich die Tür wieder öffnete.
Aber es blieb bei ihrer Ziehtochter, die soeben drei mit Apfelsaft gefüllte Flaschen auf den Tisch stellte. Vier dickwandige und gut gekühlte Tongläser hatte sie ebenfalls mitgebracht.
»Lass mal«, sagte ich, als sie den ersten Korken ziehen wollte. »Das übernehme ich.«
»Das ist nett.«
Ich schenkte auch ein, und als der letzte Tropfen in das Glas sickerte, erschien Suko.
»He«, sagte er, »ist das der berühmte Apfelsaft deiner Freundin?«
»Ja, das ist er.«
»Sehr gut.«
Als wir ihn getrunken hatten, strahlte Suko.
»Darin könnte ich sogar baden«, lobte er und setzte sich bequemer hin.
»Aber wir sind nicht nur hergekommen, um Saft zu trinken.«
»Du sagst es, Suko.«
Er schaute Carlotta an.
»Ist in der Zwischenzeit irgendetwas geschehen, das wir wissen sollten?«
»Nur dienstliche Anrufe.« Sie schüttelte mehrmals den Kopf. »Ich habe mich auch nicht gemeldet. Die Anrufe sind noch
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