1571 - Der fliegende Tod
sein Haus hinweg flog, als wäre er der wahre Herrscher der Lüfte…
***
Das Zimmer, das Bett, das schwache Licht, das von einer einsamen Stehlampe abgegeben wurde, es passte alles, und es gab sicherlich manche Patienten, die sich hier wohl fühlten, weil sie hier ihre Ruhe hatten und sich zudem in Sicherheit fühlen konnten.
Das war bei Fatima Herzog nicht der Fall. Die junge Frau mit den rabenschwarzen Haaren lag zwar ruhig auf dem Rücken, aber von Schlaf konnte keine Rede sein. Dazu war die Unruhe in ihrem Innern viel zu groß.
War es die Angst vor der Geburt?
Sie hatte es zunächst vermutet. Es war eine besondere Angst vor etwas, von dem sie nicht wusste, was es genau war. Da konnte sie grübeln und hin und her überlegen, zu einem Schluss kam sie nicht. Es gab keinen genauen Grund. Die Angst war da, und damit musste sie eben fertig werden.
Aber das wurde sie nicht, obwohl sie sich konzentrierte. Fatima hatte das Gefühl, als befände sie sich nicht mehr allein im Zimmer. Etwas war hier eingedrungen, das sie nicht sehen, dafür aber spüren konnte. Es war fremd, es war ungewöhnlich, und sie dachte natürlich sofort an ihr ungeborenes Kind. Automatisch strich sie über ihren prallen Bauch, und sie war froh, als sich das neue Leben darunter bewegte. Wehen hatte sie nicht mehr bekommen, doch das konnte in wenigen Stunden alles ganz anders sein.
Jemand klopfte an der Tür. Es war Schwester Mary, die sich in das Zimmer schob. Sie ging bis zum Bett und schaute auf die Frau nieder.
»Alles in Ordnung mit Ihnen?«
»Ja. Ich habe keine Wehen mehr bekommen.«
»Das ist gut.« Die Schwester warf einen Blick auf die Apparate, an die Fatima angeschlossen war. Puls und Blutdruck lagen im normalen Bereich, und so konnte Mary das Zimmer beruhigt verlassen.
Fatima Herzog wusste nicht, ob sie sich darüber freuen sollte. Sie hätte gern jemanden bei sich gehabt, mit dem sie ihre Bedenken hätte besprechen können, doch sie glaubte nicht, dass Mary die richtige Person dafür war.
Zeit verstrich.
Das Gefühl, nicht allein zu sein, verstärkte sich wieder. Etwas hielt sich in ihrer Nähe auf und wanderte durch das Zimmer. Es war nicht zu sehen, nur zur fühlen. Das Unsichtbare, das an ihr vorbeischwebte und immer wieder zurückkehrte.
Fatima wollte es nicht nur fühlen, sondern auch sehen. Sie hielt deshalb ihre Augen weit offen und bewegte ihren Kopf hin und her, um mehr zu erkennen.
Nichts, sie sah gar nichts.
Dafür spürte sie die Veränderung an ihrem Körper. Sie kam sich selbst so schwer vor. Mit jeder Sekunde, die verstrich, schien sie tiefer zu rutschen, und sie glitt hinein in ein Loch, das in ihrem Bett entstanden zu sein schien.
Sie wollte schreien.
Es ging nicht.
Sie wollte die Hände ausstrecken.
Auch das schaffte sie nicht.
Stattdessen war der Druck vorhanden und auch ein gewisser Zug von unten her, dem sie nichts entgegensetzen konnte und der sie immer tiefer aus der normalen Welt entfernte und sie hineinzerrte in ein Reich der Träume und Erinnerungen…
***
Fatimas Traum
Gefallen war sie, sehr tief gefallen. Durch die Finsternis gesegelt, die sich irgendwann aufzulösen begann und das Bild einer fremden Landschaft zeigte.
Weit, groß und leer…
Aber sie hatte das Glück, von oben her auf die Landschaft schauen zu können. Sie sah einen vollen Mond, der von einem geisterhaften blauen Licht umgeben war, das sich über der weiten Landschaft ausbreitete.
Wüste. Menschenleer. Bis auf die Bauten, die als gewaltige Dreiecke vom Boden her in die Höhe stachen und so typisch für dieses Land am Nil waren.
Pyramiden!
Königsgräber. Mal große, mal kleinere. Künstliche Hügel in der flachen Landschaft, die sich so weit dehnte, wie der Blick des menschlichen Auges reichte.
Es war einfach wunderbar, wenn man für das Land schwärmte. Die Träumerin jedoch empfand die Landschaft als bedrohlich. Sie fühlte sich wie im Feindesland, und jedes Bild, das in ihrem Kopf entstand, war scharf umrissen und besonders klar.
Über den schwarzen Himmel, der irgendwo in der Ferne sein Blau verlor, huschte ein Blitz mit mehreren Ablegern. Er sah aus wie ein Startsignal, und so etwas Ähnliches war er auch, denn kaum war er erloschen, als die Starre der Landschaft verging, weil in der Nähe des Mondes eine Bewegung entstand.
Ein Schatten segelte über die Spitzen der Pyramiden hinweg, und die Träumerin im einsamen Zimmer sah ihn immer deutlicher. So erkannte sie schon bald, dass es sich dabei um einen
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