1574 - Töte mich, dunkler Spiegel
Kick? Das konnte man durchaus. Allerdings waren wir mit den Erfahrungen gesegnet, die auch auf das Gegenteil hinwiesen, und deshalb mussten wir den Bericht auch ernst nehmen.
Grace Wilcox leerte ihr Glas und hob danach beide Arme.
»Jetzt bin ich alles losgeworden und kann Sie nur bitten, über meine Worte nachzudenken. Ich habe es wirklich so gemeint, wie ich es Ihnen gesagt habe. In mir steckt eine große Angst, denn Wer sich in Gefahr begibt, kommt leicht darin um.«
»Ja, das kann man hin und wieder so sagen.« Ich lächelte ihr zu. »Sie müssen keine Sorge haben, Mrs. Wilcox, wir werden uns schon um die Sache kümmern.«
Sie hielt für einen Moment den Atem an, und plötzlich nahm ihr Blick einen erwartungsvollen Ausdruck an.
»Wollen Sie das wirklich für mich tun?«
»Ja«, bestätigte auch Suko. »Es ist nur die Frage, wann wir mit ihrer Tochter sprechen können.«
»Ich hoffe, dass es morgen der Fall sein wird. Sollte sie in dieser Nacht noch zurückkehren, dann gebe ich Ihnen morgen früh Bescheid. Das wäre ja wunderbar.«
Ich lächelte ihr zu. »Das ist doch schon mal was. Wenn wir mit ihr gesprochen haben, werden wir sicher einen großen Schritt weiter sein.«
Ich sah ihr an, dass sie noch etwas auf dem Herzen hatte, und fragte sie: »Wollen Sie noch etwas loswerden? Bitte, wir haben genug Zeit.«
»Danke.« Sie musste sich wieder sammeln, um auf das bestimmte Thema zu kommen, das ihr persönlich so fremd war. »Es ist ja etwas, das man nicht mit normalen Maßstäben messen kann. Solche Dinge sind mir fremd, Ihnen dagegen nicht. Kann man denn Nahtoderfahrungen sammeln? Kann man sich dem Tod nähern, ohne dass er zuschlägt? Ist es überhaupt möglich, einen Blick in die jenseitige Welt zu werfen?«
Ich hob die Schultern und wollte auch nicht zu viel verraten. Deshalb sagte ich: »Es gibt immer wieder Menschen, die andere Wege gehen. Die mit etwas Kontakt aufnehmen, das den meisten verborgen bleibt.«
»Haben diese Leute auch Erfolg?«
»Hin und wieder. Es kann sein, dass sich die jenseitige Welt manchmal für sie öffnet.«
Grace Wilcox bekam große Augen. »Dann könnte Lena diesen Weg also gegangen sein?«
»Ja:«
»Und was kann das für Folgen haben, Mr. Sinclair?«
»Das bleibt abzuwarten. Ich kann es Ihnen nicht sagen. Es gibt zu viele Unwägbarkeiten bei diesen Versuchen. Das ist nun mal so.«
Die Frau sank in ihrem Sessel in sich zusammen. Sie sah plötzlich so hoffnungslos aus, was mir nicht gefiel, deshalb versuchte ich, das Gesagte zu relativieren.
»Es kann, es muss nicht sein. Ich kann Ihnen aber versichern, dass es in der Regel schiefgeht.«
»Sagen Sie das nicht nur so?«
»Nein, das sind Erfahrungswerte.«
Ich wusste nicht, ob sie mir glaubte, aber sie wollte auch nicht länger bei uns bleiben. Mit müden Bewegungen stand sie auf.
»Dann kann ich nur hoffen«, sagte sie, »dass Lena noch in dieser Nacht nach Hause kommt und doch noch die Kurve kriegt.«
»Dabei werden wir Ihnen helfen.«
Ich brachte die Besucherin noch zur Tür, wo ich ihr die Hand reichte und dabei merkte, dass ihre stark zitterte.
»Danke, Mr. Sinclair.«
»Wofür?«
»Dass Sie und Mr. Suko mir überhaupt zugehört haben. Andere Menschen hätten mich ausgelacht und mich weggeschickt.«
»Nein, nein, man muss die Sorgen seiner Mitmenschen schon ernst nehmen. Machen Sie es gut.«
»Danke.«
Ich schaute ihr nach, wie sie mit gesenktem Kopf zum Lift ging, und ich hatte den Eindruck, als wollte sie anfangen zu weinen.
Mit dieser Frau konnte man nur Mitleid haben, und ich hoffte, dass sie ihre Tochter nicht verlor.
»Was hältst du von der Sache?«, fragte Suko, als ich wieder zurückgekehrt war.
»Das ist schwer zu sagen.«
»Glaubst du ihr?«
»Ja, was ihre Tochter angeht, und dass sie auf der Suche nach einem anderen Weg ist.«
»Den gefährlichen?«
Ich hob die Schultern. »Keine Ahnung, Suko. Aber zum Spaß ist Grace Wilcox nicht zu uns gekommen. Die hat schon Probleme genug. Es ist nur schade, dass sie nichts Konkretes weiß, was die andere Seite angeht. Zum Bespiel die Namen ihrer Freunde, die bei diesem Spiel mitmischen.«
»Spiel ist gut…«
»Ich weiß, dass dahinter eine sehr ernste Sache stecken kann, aber ich habe schon Ähnliches gehört. Man liest ja auch immer davon, und eine Todessehnsucht bei Menschen ist uns auch nicht neu. Da haben wir schon…«
»Moment, John. Der Fall hier liegt etwas anders. Da will jemand einen Blick ins Jenseits werfen. Also ein Tor öffnen
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