1576 - Die Leichengasse
dass er beobachtet wurde, wusste Jane Collins nicht. Jedenfalls ließ er sich nichts anmerken, bis er die Tür erreichte und sich dort noch mal halb umdrehte, sodass er ins Haus schauen konnte.
Er sagte nichts, aber er lachte, und so wusste Jane, dass er schon eine Ahnung hatte.
Dann verließ er mit seiner Beute das Haus!
Dass Jane Collins ratlos war, kam nicht oft vor. In diesem Fall schon, denn sie wusste nicht, was sie unternehmen sollte. Auch wenn sie nichts sah, fühlte sie sich von Gefahren umgeben. Man hatte ihr klarmachen wollen, wie gering ihre Chancen waren, und jetzt stand sie da und musste sich entscheiden.
Was tun? Bleiben? Sich ein Versteck suchen? Diesem Kerl vielleicht folgen?
Es gab keine eindeutige Antwort. Alles, was sie tat, konnte verkehrt sein.
Aber sie wollte auch nicht untätig bleiben. Das war einfach nicht ihr Ding, und deshalb ging sie zur Tür und verließ das Haus.
Sofort schaute sie nach links.
Der Mann mit der Leiche über der Schulter ging in der Straßenmitte. Er war gut zu erkennen, wenn er durch die Lichtflecken schritt, und als er den letzten passiert hatte, sah es aus, als hätte ihn die Dunkelheit verschluckt.
Dort musste sein Ziel liegen. Dort musste derjenige sein, der auf seine Nahrung wartete. Der Herrscher dieser verdammten Leichengasse.
Eben ein Ghoul.
Hingehen, nachschauen oder besser wegbleiben?
Sie wusste es nicht.
In der unheimlichen Stille verstärkte sich Janes Gefühl der deprimierenden Einsamkeit. Sie musste sich gegen die Hauswand lehnen, weil ihre Knie weich geworden waren.
Wie ging es weiter?
Sie wusste es nicht. Und es gab niemanden, der ihr die Entscheidung abnahm.
Doch lieber im Haus bleiben?
»Nein«, flüsterte sie, »das werde ich nicht tun…«
Wenig später hatte sie die Leichengasse betreten.
Sie war leer und tödlich…
***
Der Frust steckte schon tief in uns, als wir das Büro wieder betraten.
Glenda sah uns an, dass uns etwas bedrückte, und auch ihr Lächeln konnte uns nicht aufheitern.
»Pech?«
Ich nickte nur.
»Wie ist es denn gelaufen?«
Neben ihrem Schreibtisch blieb ich stehen. »Das ist ein Fall, an dem wir uns die Zähne ausbeißen können. Wir haben mit diesem Aaron Grant gesprochen und…«
»Aha«, sagte sie nur.
»Was heißt das?«, fragte ich verwundert.
»Später.«
»Okay. Wir sprachen also mit dem Bestatter. Auf uns machte er einen unsympathischen Eindruck. Ihm wurden Leichen gestohlen. Er stritt auch nicht ab, Jane Collins zu kennen, er hat sie ja selbst engagiert, um die Leichenräuber zu finden, aber das alles klang für Suko und mich nicht echt. Zudem haben wir mit seiner Sekretärin sprechen können, die über ihren Chef und ihren Job frustriert war, aus welchen Gründen auch immer. Um es kurz zu machen, sie hat mit den Leichenräubern zusammengearbeitet. Sie hat ihnen im wahrsten Sinne des Wortes die Türen geöffnet.«
Glenda nickte nur.
Ich sprach weiter. »Außerdem sind uns die Aussagen des Bestatters sehr suspekt gewesen. Er ist nicht der Ärmste unter der Sonne. Bei seinem Einkommen, so schätze ich, hätte er sich auch einen Sicherheitsdienst leisten können. Angeblich war ihm das aber zu teuer.«
Glenda lächelte und zeigte einen Gesichtsausdruck, der mir irgendwie nicht gefiel. »Lachst du mich aus?«
»Nein.«
»Was ist los mit dir?«
»Das will ich dir sagen. Zuvor eine Frage. Meinst du, dass er geizig ist oder sie?«
Ich stutzte. »Wieso sie?«
Glenda lehnte sich zurück, drehte sich mit dem Stuhl um und deutete auf den Monitor. »Ich habe mal etwas nachgeforscht, weil ich neugierig gewesen bin.«
»Du meinst über die Firma?«
»Genau. Über die Besitzer.«
Ich war mit den Gedanken nicht ganz bei der Sache. Suko schon eher, denn er fragte: »Hast du Besitzer gesagt, Mehrzahl?«
»Habe ich.« Glenda deutete ein Klatschen an. »Und siehe da, ich habe herausgefunden, dass es zwei Eigentümer gibt. Einen Aaron Grant und einen Elias Grant.«
Das war der Hammer. Glenda amüsierte sich über unsere erstaunten Blicke.
Auf einen Kommentar verzichteten wir zunächst, bis ich fragte: »Brüder also?«
»Ja. Aber ihr habt nur mit einem gesprochen. Fragt sich, wo sich der zweite Grant aufhält.«
»Darüber stand nichts in deinen Recherchen?«
»Sonst hätte ich es euch gesagt. Man kann aber festhalten, dass dieses Bestattungsinstitut den beiden Grants gehört. Davon beißt die Maus keinen Faden ab.«
»Gesagt hat er uns nichts davon«, meinte Suko.
»Warum auch? Habt ihr ihn
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