1576 - Die Leichengasse
danach gefragt?«
»Nein.«
Ich stellte meinen rechten Daumen in die Höhe. »Aber wir werden ihn danach fragen. Und ich bin gespannt, wie er uns seinen Bruder erklären wird.«
»Ganz normal, denke ich.«
»Meinst du?«
Glenda hob die Schultern. »Ich denke nicht, dass er ihn verleugnen wird. Er würde sich nur verdächtig machen. Ihr wisst schließlich mehr.«
Der Weg nach Esher war nicht eben nah, aber ich wollte diesem Aaron Grant persönlich gegenüberstehen, wenn ich ihn nach seinem Bruder Elias fragte. Ein Telefonat brachte mir nichts.
»Mehr habe ich nicht herausfinden können«, gab Glenda zu. »Aber dem Gefühl nach scheint mir die Firma suspekt zu sein. Ich bin gespannt, was ihr da noch ausgraben werdet.«
»Hoffentlich auch Jane Collins.«
Glenda erschrak.
»Stimmt«, flüsterte sie. »Ihr habt nichts über sie herausgefunden?«
»Nein, nicht die geringste Spur. Grant hat uns nichts gesagt. Ich bin mir nicht sicher, ob er uns nicht einiges verschwiegen hat. Jedenfalls müssen wir wieder zu ihm.«
Suko hatte noch eine Frage. »Ist denn dieser Bruder öfter erwähnt worden? Ich meine, hast du herausfinden können, in welch einer Funktion er an der Firma beteiligt ist?«
»Nein, das habe ich nicht. Es steht nichts darüber geschrieben.«
Ich nickte und war optimistisch. »Wir werden es herausfinden. Und eines weiß ich jetzt schon«, sagte ich zu Glenda gewandt. »Das ist kein normaler Leichenklau gewesen. Dahinter steckt etwas anderes, davon bin ich inzwischen überzeugt.«
»Und woran denkt ihr?«, fragte Glenda.
»An Ghöuls.«
Sie nickte, und ihr Gesicht verlor dabei an Farbe.
»Komisch«, murmelte sie, »aber daran habe ich auch schon gedacht…«
***
Jane war wieder unterwegs. Eine einsame Wanderin in der Leichengasse. Sie musste einfach gehen, obwohl sie nicht wusste, wohin sie der Weg führen würde.
Auch jetzt war niemand da, der sie aufhielt. Die schmale Gasse schien ihr allein zu gehören. Aber das stimmte nicht. Hierherrschte ein böser Geist vor, den sie spürte, aber nicht sah.
Sie erreichte die nächste Lichtinsel, die auf der anderen Gassenseite lag.
Eigentlich hatte sie weitergehen wollen, aber sie traute sich nicht so recht. Es konnte auch ein innerer Zwang sein, der ihre Füße nach rechts drehte, sodass sie auf das Haus zuging, dessen unteres Fenster erleuchtet war.
Mehrere Leichen waren abhanden gekommen, und eine davon hatte sie bereits gesehen. Andere würden sich noch in den Häusern befinden, und so machte sich Jane auf den nächsten nicht eben netten Anblick gefasst.
Erneut lockte sie das Fenster. Allerdings hatte sie sich vorgenommen, das Haus diesmal nicht zu betreten. Sie wollte vor weiteren unliebsamen Überraschungen verschont bleiben.
Wer immer die Kerzen in den Häusern der Leichengasse angezündet hatte, sie dankte es diesem Unbekannten, denn so war zumindest ein wenig Helligkeit vorhanden, und sie musste nicht durch das Dunkel tappen.
Ein ungutes Gefühl beschlich sie schon, als sie sich dem Fenster näherte.
Auch hier fehlte die Scheibe, und sie glaubte, dass von innen her ein schwacher Verwesungsgeruch in ihre Nase stieg. Deshalb machte sie sich auf einen Anblick gefasst, der nichts für schwache Nerven war.
Dicht vor der Fensteröffnung hielt sie an. Diese hier glich schon mehr einer Luke. Trotzdem bot sie Jane eine gute Sicht, die zusammenzuckte, als sie die Leiche sah, und das, obwohl sie sich innerlich darauf eingestellt hatte.
Diesmal war es eine Frau. Auch sehr alt. Bestimmt acht Jahrzehnte.
Sie saß nicht in einem Sessel oder auf einem Stuhl. Man hatte sie auf eine Liege gebettet, dabei auf die Seite gedreht, sodass ihr Gesicht zum Fenster zeigte.
Der rötliche Kerzenschein fuhr darüber hinweg, aber er machte es nicht schöner. Zudem war etwas mit der Haut geschehen. Sie wies Flecken auf, die auch im schwachen Kerzenschein nicht zu übersehen waren.
Das Haar hatte sie fast gänzlich verloren. Es wuchsen nur ein paar Strähnen auf dem fast kahlen Schädel, und dieser Anblick traf die Detektivin bis ins Mark. Sie drückte sogar den Handballen gegen die Lippen, um einen Laut zu vermeiden.
Nicht zum ersten Mal stellte sich Jane die Frage, wohin sie hier geraten war. Erst die lange Gefangenschaft, dann diese unheimliche Leichengasse. Was passte da zusammen?
Eines stimmte. Etwas war da. Dieser eklige Geruch nach Verwesung.
Tote Körper, denen das Leben und die Seele genommen worden waren, und die eigentlich unter der Erde hätten
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