1576 - Die Leichengasse
alles gesagt. Ich wüsste nicht, dass ich …«
»Es wird sich alles noch herausstellen, Mr. Grant«, unterbrach ich ihn.
»Glauben Sie mir, wir sind den weiten Weg bestimmt nicht grundlos gefahren.«
»Ja, ja, das kann ich mir denken.«
»Dann bitte.«
Es war nun für ihn klar, dass wir nicht bereit waren, das Gespräch vor der Tür fortzusetzen. Er drehte sich um und ging mit schnellen Schritten zurück ins Haus. Dabei schlug er den Weg zu seinem Büro ein.
Suko flüsterte mir zu: »Glaubst du, dass er etwas zu verbergen hat?«
»Da bin ich mir fast sicher. Zumindest die Sache mit seinem Bruder ist erklärungsbedürftig.«
»Das denke ich auch.«
Grant trug trotz des schwülen Wetters einen dunkelbraunen Anzug. Er war weit geschnitten, und die Jacke hatte er nicht geschlossen. Die beiden Schöße schwangen beim Gehen von einer Seite zur anderen.
Auch die Hose umschlackerte seine Beine.
Es war zwar nicht unbedingt nötig, er schaltete in seinem Büro trotzdem das Licht ein.
»Sie wissen ja, wohin Sie sich setzen können. Aber bitte, machen Sie es kurz.«
»Das liegt ganz bei Ihnen«, sagte Suko.
»Wieso das denn?«
»Nun, es kommt darauf an, ob Sie unsere Fragen beantworten können.«
Aaron Grant sagte nichts. Er ließ sich auf seinen Schreibtischstuhl fallen und legte den Kopf schief. Auf seinen Lippen zeichnete sich ein Lächeln ab, das für mich allerdings gezwungen wirkte. Ob es an der Temperatur lag, dass sich Schweiß auf seiner Stirn gesammelt hatte, oder seinen inneren Druck verriet, wusste ich nicht.
Aber er redete. »Ja, jetzt sitzen wir hier, und ich möchte wissen, weshalb Sie zurückgekommen sind.«
»Es geht um Ihren Bruder«, sagte Suko trocken.
Der Kopf des Bestatters ruckte zur Seite. Er wollte Suko anschauen, was er mit weiten Augen tat. Es war nicht zu erkennen, ob er tatsächlich erstaunt war oder nur so tat.
Ich sprach weiter. »Er heißt Elias, nicht wahr?«
»Das stimmt.« .
»Und Sie haben ihn uns verschwiegen.«
Aaron Grant wurde leicht nervös. Er räusperte sich, schluckte dann und suchte nach Worten.
»Nun ja«, erwiderte er und versuchte, locker zu sprechen. »Im Prinzip stimmt das. Aber was hat mein Zwillingsbruder mit dieser Geschichte zu tun?«
Dass Elias sein Zwillingsbruder war, war uns neu. Für Suko und mich gab es keinen Grund, unser Erstaunen zu vertuschen.
»Sie haben einen Zwillingsbruder?«, fragte Suko.
»Nein, ich hatte einen.«
»Wieso?«
»Elias lebt nicht mehr.«
Das hatten wir nicht gewusst. Das hatte auch Glenda bei ihren Recherchen nicht herausgefunden.
Ich gab es nicht gern zu, aber ich sah meine Felle schon davonschwimmen.
»Wollen Sie noch mehr wissen?«
Ich überging den aggressiven Ton in seiner Stimme und sagte: »Das ist auf Ihrer Homepage nicht zu lesen.«
»Exakt, Mr. Sinclair. Ich sah auch keinen Grund, den Tod meines Bruders bekannt zu geben. Gehen Sie davon aus, dass er nicht mehr lebt.«
Suko wollte wissen, wann er gestorben war.
»Es liegt etwa ein halbes Jahr zurück.« Mit einem Tuch wischte er den Schweiß von seiner Stirn weg. »So ist das nun mal. Zum Leben gehört auch der Tod.«
»Sie sagen es.« Suko nickte und fügte dann die nächste Frage hinzu.
»Wo liegt Ihr Bruder denn begraben?«
»Nirgendwo. Ich habe ihn verbrennen lassen. Soll ich Ihnen auch noch seine Asche zeigen?«, höhnte er. »Dann müssten wir allerdings in den nahen Wald gehen und die Urne dort ausbuddeln.«
»Nein, nein wir glauben Ihnen auch so.«
»Wie schön, dass ich Sie als Polizisten überzeugen konnte.«
»Und woran ist er gestorben?«, wollte ich wissen.
»An einem Herzschlag. Einfach so und urplötzlich. Das ist ja nichts Unnormales.«
Es stimmte. Unnormal war es nicht. Trotzdem hatte er mich nicht überzeugen können. Ich blieb misstrauisch, und mich überkam der Eindruck, dass wir, wenn wir jetzt gingen, einen Fehler begingen.
Aber wie konnten wir Aaron Grant festnageln?
Er fühlte sich uns überlegen. »Ich verstehe Ihre Fragen nicht. Dass Sie gekommen sind und nach dieser Detektivin gefragt haben, das ist wohl normal. Aber mein verstorbener Bruder kann mit ihrem Verschwinden nichts zu tun haben.«
Ich ging nicht darauf ein und hakte noch mal nach. »Sie waren also Zwillinge?«
»Ja.«
»Hat Ihr Bruder auch im Geschäft mitgearbeitet?«
»Ja und nein. Er hielt sich im Hintergrund und hat die Dinge dort geregelt. Das heißt, er beschäftigte sich mit den Leichen, die hier angeliefert wurden. Er hat sie gewaschen, er
Weitere Kostenlose Bücher