1576 - Die Leichengasse
hatte keine Kugel getroffen, ihn schon. Bei diesem unnatürlichen Zwielicht war es auch nicht einfach, ein Ziel zu treffen, aber Grant hatte es erwischt. Er konnte sich nicht mehr auf den Beinen halten. Ich sah ihn taumeln, aber mehr auch nicht, denn ich drehte mich um die eigene Achse und hielt meine Beretta in der Hand.
Zu schießen brauchte ich nicht. Der Schütze hatte jetzt Suko aufs Korn genommen, der nicht mehr stand, sondern am Boden kniete und kaum fassen konnte, was er da sah.
Der Schütze war alles andere als ein Profi. Er musste sich seiner Sache sehr sicher sein, denn er rannte auf Suko zu, anstatt selbst erst mal in Deckung zu gehen. Er sah in Suko ein gutes Ziel, doch er kam nicht mehr dazu, auf meinen Freund zu feuern, denn jetzt war Suko an der Reihe.
Und der konnte schießen und auch treffen.
Das Geschoss traf den Mann mitten im Lauf. Er kam nicht mehr dazu, abzudrücken, denn die Kugel, die sich in seinen Körper grub, stoppte ihn.
Er schrie, dann kippte er nach vorn, stolperte über seine eigenen Füße und landete bäuchlings am Boden.
Suko stand auf. Er ging zu ihm und richtete seine Pistole auf den still daliegenden Körper.
Der Mann bewegte sich nicht mehr. Suko wollte es genau wissen. Er drehte ihn um und meldete, was er sah.
»Er ist tot, tut mir leid. Die Kugel hat ihn genau in die Kehle getroffen.«
Dann griff er zur Seite. »Seine Waffe ist übrigens eine Beretta, John. Du kannst dir denken, wem er sie abgenommen hat.«
»Ja, kann ich«, flüsterte ich. Ein Gefühl von Wut und Angst flutete in mir hoch, aber ich ging nicht zu meinem Freund und Kollegen, ich blieb weiterhin neben dem auf dem Pflaster liegenden Aaron Grant.
Das Einschussloch befand sich in Herznähe. Es sah alles andere als gut für den Bestatter aus, und das wusste er selbst. Er war nicht bewusstlos geworden und mühte sich mit aller Kraft, mir etwas zu sagen. Er hatte es sogar geschafft, seinen Blick auf mich zu richten.
»Es ist bald vorbei mit mir, Sinclair, das spüre ich.«
Ich nickte nur.
»Und wissen Sie was?«
»Sie werden es mir sagen.«
Sein Gesicht verzerrte sich noch stärker. Ich befürchtete schon, dass er es mir nicht mehr würde sagen können, aber er riss sich noch einmal zusammen. Ich beugte mich tiefer, um ihn hören zu können.
»Ich - ich - bin froh, dass es mit mir zu Ende geht, verstehen Sie?« Ich nickte wieder.
»Das war kein Leben mehr. Ich wollte nicht mehr mitmachen, aber ich kam auch nicht raus. Mein verfluchter Zwillingsbruder war einfach zu stark. Ich musste tun, was er befahl, aber jetzt nicht mehr. Ich spüre, dass ich frei sein werde. Der Druck ist endlich von mir gewichen…«
Aaron Grant war dabei, seinen Frieden zu finden. Das erkannte ich auch an seinem Gesichtsausdruck, der plötzlich sehr zufrieden wirkte. Sogar ein Lächeln lag auf seinen Lippen, und er riss noch mal die Augen auf, um mich anzusehen.
»Vernichten Sie ihn, Sinclair. Schaffen Sie ihn aus der Welt. Wollen Sie mir das versprechen?«
»Ja, das verspreche ich und…« Ich konnte mir die folgenden Worte sparen, denn ich sah, dass der Blick des Mannes gebrochen war. Er lebte nicht mehr.
Ich schloss ihm die Augen und war froh darüber, dass Aaron Grant seinen Frieden gefunden hatte.
Als ich hochschaute, stand Suko neben mir.
»Der zweite Tote?«, fragte er leise.
Ich stand auf. »Ja. Eine Kugel hat ihn getroffen.«
»Aus Janes Beretta, John.«
Ich nickte. Dass Jane waffenlos war, verschlechterte ihre Chancen. Die Vorstellung, hier irgendwann eine tote Jane Collins in den Armen zu halten, sorgte bei mir für einen regelrechten Schwindel. Ich wollte nicht daran denken, doch die Gedanken ließen sich einfach nicht verdrängen.
Suko war wachsam geblieben. Unsere Lage gefiel ihm nicht, das war ihm anzusehen.
»Es gibt noch einen zweiten Mann«, sagte er mit leiser Stimme. »Leider habe ich den noch nicht entdeckt.« Er stieß scharf den Atem aus. »Ich gehe mal davon aus, das er uns gesehen hat und jetzt irgendwo im Hintergrund auf seine große Chance lauert.«
»Meinst du?«
»Ja.«
»Sein Boss ist tot.«
Suko hob die Schultern. »Okay, aber er hat einen Auftrag erhalten. Es kommt ganz darauf an, wie er gestrickt ist. Wir müssen uns darauf gefasst machen, noch mal…«
»Nein«, sagte ich, denn in diesem Fall hatte ich den besseren Überblick.
Und so war mir ein Mann aufgefallen, der sich aus seinem Versteck gelöst hatte und nun auf uns zukam. Er sah nicht aus, als wäre er unser Feind. Beide
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