1577 - Der Engelssohn
Grund haben.
Möglicherweise zog er sein eigenes Spiel durch. Jedenfalls mussten wir sein Verschwinden akzeptieren.
»Ein Kleinkind, John, was kann es schon ausrichten?«
»Nichts, wenn es ein normales ist. Aber das ist es nach deiner Beschreibung nicht. Es muss ein besonderes Kind sein. Es ist geschickt worden, und ich glaube auch nicht, dass es von dieser Welt stammt. Es kann in einer anderen geboren sein.«
»Gut, du hast das richtige Wort ausgesprochen. Und wer könnte es geboren haben? Wer ist seine Mutter, wer sein Vater? Kannst du mir darauf auch eine Antwort geben?«
»Nein, das kann ich nicht. Alles, was ich sage, bleibt im Bereich der Spekulation.«
»Sehe ich auch so.«
»Aber wie ist es mit dir? Setzt du noch auf die Hilfe des Jungen?«
Er lachte leise. »Zunächst mal setze ich auf deine Hilfe, und ich bin froh, dass du den Weg trotz des Ärgers heil hinter dich gebracht hast.«
Ich winkte ab. »Hin und wieder muss man eben auch Glück haben.«
Ich wechselte das Thema, weil mir etwas eingefallen war.
»Sag mal, Godwin, wie steht eigentlich Sophie zu diesen Vorgängen? Was sagt sie darüber?«
Er hob die Schultern. »Sie denkt wohl ebenso wie ich, obwohl sie innerlich nicht so angespannt und sorgenvoll ist. Sie hat auch nicht die Verwandlung des Würfels so erlebt wie ich.«
»Und wo steckt sie?«
Da hatte ich etwas angesprochen, über das sich Godwin offenbar ebenfalls seit einiger Zeit Gedanken machte.
»Ich weiß es nicht.«
»Ach?«
»Ja, ich weiß es nicht. Ich habe mich damit beschäftigen wollen, dann kamst du.«
»Hat sie denn das Kloster verlassen und ist in den Ort gegangen?«
»Das glaube ich nicht.«
»Dann sollte sie noch hier sein. Vielleicht draußen.«
»Du denkst an den Garten?«
»Sicher.«
Godwin holte tief Luft. »Alles ist möglich«, flüsterte er. »Tut mir leid, John, dass ich nicht so bin wie sonst. Aber die Manipulation des Würfels hat mich ziemlich mitgenommen. Ich weiß überhaupt nicht mehr, wo mir der Kopf steht.«
»Okay, das lässt sich ändern.«
»Und was hast du vor?«
»Zuerst mal deine Frau suchen, damit du dich beruhigst. Dann sehen wir weiter…«
***
Gabriel war noch ein paar Schritte entfernt, aber er blieb nicht dort und kam näher. Er ging auch nicht wie ein Kleinkind. Er setzte seine Füße fest und sicher auf, und das sogar auf dem leicht rutschigen Kiesboden.
Sophie konnte nichts sagen. Sie wartete ab, was der Junge von ihr wollte. Er sagte nichts, als er dicht vor ihr stehen blieb und ihr seine kurzen Arme mit den kleinen Händen entgegenstreckte.
Er wollte auf den Arm genommen oder auf die Bank gesetzt werden.
Sophie hatte das Gefühl, dass er es trotz seiner geringen Größe aus eigener Kraft schaffen konnte, doch das wollte sie nicht ausprobieren, deshalb half sie ihm hoch und setzte ihn neben sich auf die Bank.
Er sah aus wie eine große Puppe, aber er bewegte sich und drehte dabei nicht nur seinen Kopf. Erneut streckte er seine Ärmchen aus, und Sophie verstand, was er wollte.
Sie fasste zu, hob ihn an und setzte ihn auf ihren Schoss.
Ein leichter Jubelschrei drang aus dem kleinen Mund. Mütterliche Gefühle überkamen die Frau, als sie direkt in das Gesicht schaute und dabei in die ungewöhnlichen Augen, die ihr allerdings erst jetzt ungewöhnlich vorkamen. Sie waren so klar, so hell, so anders. Es hätte sie nicht gewundert, wenn die Iris mit goldenen Partikeln gesprenkelt gewesen wären.
Sie glaubte nicht daran, dass Gabriel gekommen war, nur um auf ihrem Schoß zu sitzen. Dahinter musste mehr stecken, und sie hoffte, dass er etwas sagen würde.
Leider deutete nichts darauf hin, aber Sophie akzeptierte das nicht.
Deshalb sprach sie ihn an.
»Warum bist du zurückgekommen, Gabriel?«
Was sie nicht für möglich gehalten hatte, trat ein.
»Ich muss euch beschützen.«
Ein warmes Gefühl durchströmte Sophies Körper. »Das ist wunderbar«, sagte sie, »ich bin dir auch sehr dankbar. Aber ich möchte auch wissen, wovor du uns beschützen willst.«
»Vor dem Bösen!«
Sophie schloss die Augen. »Ist es Matthias?«
»Ja.«
»Und wo ist er?«
»Nah, Sophie, er ist sehr nah. Ich habe ihn gespürt. Er ist auf dem Weg, und deshalb bin ich zu dir gekommen. Ich will nicht, dass du stirbst, verstehst du?«
»Das möchte ich auch nicht. Aber wenn er kommt, wie können wir ihn vernichten?«
»Indem man das Böse überwindet, das er mitbringt.«
»Und du bist stark genug dafür?«
»Ich weiß es nicht. Ich habe es
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