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158 - Orguudoos Brut

158 - Orguudoos Brut

Titel: 158 - Orguudoos Brut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephanie Seidel
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schmerzverzerrter Miene. »Töte sie nicht!«
    Der Saikhan atmete aufgebracht in Aruulas Haar. So eine Ungeheuerlichkeit hatte er in seinem ganzen Leben noch nicht gesehen! Auch die anderen Steppenjäger waren starr vor Empörung. Selbst ihre Frauen blickten entrüstet drein.
    Jem'shiin wandte sich um Verständnis bittend an Chengai.
    »Aruula stammt von einem anderen Volk. Sie wollte keinen beleidigen oder so, weißt du, sie hat es einfach nicht besser gelernt.«
    Der Steppenjäger verharrte eine ganze Weile reglos und mit in sich gekehrtem Blick. Dann nickte er Lamak zu, der sein Messer sinken ließ und Aruula freigab. Chengai wandte sich an Jem'shiin.
    »Diese Frau verlässt das Haus«, sagte ruhig.
    »Aber sie stirbt, wenn du sie fortschickst!«, protestierte der shassun. Er zeigte auf Aruula. »Sie kam ohne Reittier und ohne Waffen! Wie soll sie in der Steppe überleben?«
    Chengai verzog keine Miene. »Ich habe nicht gesagt, dass ich sie fortschicke. Ich sagte: Sie verlässt das Haus! Sie kann in der Scheune übernachten, oder in einem der Ställe. Allerdings nicht bei den Jingiis! Sobald sich das Wetter bessert, bringst du sie zur alten Handelsstraße. Irgendjemand wird sie dann wohl mitnehmen.«
    »Ist gut. Mach ich. Danke!« Jem'shiin verbeugte sich so eifrig wie ein Steppenhuhn auf Futtersuche, und Aruula sah ihm voller Verachtung zu. Sie ahnte nicht, dass der shassun sich gerade ihretwegen zum Narren gemacht hatte. Bajaaten waren nicht bekannt dafür, dass sie Frauen gegenüber Toleranz und Großmut zeigten, Chengai schon gar nicht. Ohne Jem'shiins Fürsprache, die ihn einiges an Ansehen kostete, hätte Chengai die Barbarin wahrscheinlich vor die Tür geschickt – zusammen mit Lamak und dessen Messer.
    »Komm, ich zeig dir deinen Schlafplatz!« Jem'shiin griff nach Aruulas Arm. Sie riss sich los und wich zurück. Seine Stimme war freundlich gewesen, ohne jede Anzüglichkeit.
    Doch ihr Klang stimmte nicht überein mit der Spannung, die Aruula plötzlich spürte. Gefahr lag in der Luft. Und Angst.
    »Ihr habt über mich geurteilt, nicht wahr? Der Kerl soll mich mitnehmen und töten.« Aruula zeigte auf Jem'shiin, dann sah sie sich um. »Wo sind die Kinder, die vorhin geweint haben? Was habt ihr mit denen gemacht? Bei Orguudoo, was geht hier eigentlich vor?«
    Aruula war immer lauter geworden, und die Männer starrten sie immer düsterer an. Jem'shiin brach der Angstschweiß aus.
    Die Barbarin redete sich um Kopf und Kragen! Er musste ihr das irgendwie klar machen, ehe es zu spät war – und auch, dass sie ihm vertrauen konnte. Aber wie erklärt man etwas, wenn der andere einen nicht versteht?
    Plötzlich hatte Jem'shiin eine Idee. Er trat vor Aruula hin, präsentierte ein hoffnungsvolles Gesicht und schlug sich an die behaarte Brust.
    »Maddrax – da'shanskiij!«, sagte er langsam, laut und überbetont. Wie es alle Leute tun, die sich Anderssprachigen verständlich machen wollen.
    Und Aruula verstand, was er meinte.
    »Ja.« Sie legte ihre Hand aufs Herz. »Maddrax ist ein Freund.«
    ***
    Nachts, in Lagtai
    Es ging auf Mitternacht zu. Narayan hatte Chengai abgelöst und hielt am Fenster Wache. Der Baum war nur schwach zu sehen in der verschneiten Dunkelheit, trotzdem hätte sich niemand unbemerkt anschleichen können. Versucht es, dachte Narayan und lächelte freudlos. Dann warf er noch einen Blick durch den zugigen Spalt und trat zurück in den Raum.
    Sein Auge tränte von der Begegnung mit der eisigen Kälte.
    Narayan wischte sich über die Wange und ging zum Herd, um etwas Holz nachzulegen. Aus dem Nebenraum waren gleichmäßige Atemzüge zu hören. Das übliche grausige Schnarchen fehlte, denn Jem'shiin nächtigte heute in der Scheune, um die Fremde zu bewachen. Narayan schüttelte den Kopf. Er verstand nicht, was der Russe an ihr fand! Aruula war mutig, ohne Zweifel, und sie wirkte klug. Doch es schien fraglich, ob sie auch kochen konnte – und ihr Benehmen war schlicht unerhört! Ohne jede Scham lief diese Frau halb nackt durch die Gegend!
    Ich würde es nicht erlauben, dass andere den Körper meiner Suresh sehen, dachte der Saikhan und fragte sich: Wie mag dieser Maddrax darüber denken? Ob es ihm egal ist, wenn alle Welt Aruula begafft? Oder läuft sie nur in seiner Abwesenheit so herum?
    Narayan hätte gern mehr über den Fremden mit dem seltsamen Namen erfahren. Maddrax – was mochte das bedeuten? Er konnte natürlich Jem'shiin fragen, aber was der Russe erzählte, war nicht zwingend die

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