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158 - Orguudoos Brut

158 - Orguudoos Brut

Titel: 158 - Orguudoos Brut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephanie Seidel
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als wir. Sie planen, sie warten – und sie schlagen erst zu, wenn man schon fast nicht mehr weiß, worum es eigentlich ging.
    Onnar runzelte die Stirn. Er hatte die Fußspuren betrachtet, die aus der Mine heraus und wieder hinein führten. Sie überlappten sich zum Teil, deshalb konnte er nicht sicher sein.
    Trotzdem wurde er das Gefühl nicht los, es gäbe hier eine Spur zu viel.
    »Luuja!«, sagte er ahnungsvoll, drehte sich um und stapfte los. Seine Schwester hatte die unselige Angewohnheit, hin und wieder wie ein Spuk zu verschwinden. Sie tat das nicht oft, aber wenn, dann konnte man sicher sein, dass einem anschließend Ärger ins Haus stand. Onnar beschleunigte seine Schritte.
    Luuja war wegen Uubin sehr aufgewühlt. Die Siedler hatten ihn so geschlagen und getreten, dass er blutend zusammenbrach, und Luuja hatte es hilflos mit ansehen müssen. Hilflos deshalb, weil Onnar sie eisern festgehalten hatte im Versteck hinter den Steinen.
    Habe ich das Richtige getan? Diese Frage würde den Tongidd quälen bis ans Ende aller Zeiten. Er hatte seinen Brüdern an jenem Abend befohlen zu fliehen, statt anzugreifen.
    Die Siedler waren übermächtig gewesen, Uubin hätte es nichts mehr genützt und Onnar wollte nicht noch jemanden verlieren.
    Eine klare Sache, so weit es den Verstand betraf. Aber da war auch noch das Herz. Den eigenen Bruder seinem Schicksal überlassen und tatenlos zusehen, wie er stirbt, das lässt einen nicht mehr los. Und wenn man ohnehin schon ein Problem im Kopf hat seit der Sache damals am Kratersee, kann es leicht passieren, dass der Wunsch nach Rache einen etwas sehr Dummes versuchen lässt!
    »Luuja?«, fragte Onnar atemlos, als er das Lager erreichte.
    Er tastete im Dunkeln über die Körper seiner Brüder, und Angst schnürte ihm die Kehle zu. »Luuja!«
    O bitte, Wudan! Lass sie nicht zu den Siedlern gelaufen sein!, flehte der Tongidd in Gedanken, während er an einer Schulter nach der anderen rüttelte.
    »Was'n los?«, murmelte eine helle Stimme von der Stollenwand her. Onnar war an Luuja vorbei gelaufen, ohne es zu merken. Er setzte sich, aufatmend, und lächelte.
    »Nichts«, sagte er. »Schlaf weiter, kleine Schwester!«
    ***
    Frühmorgens, in Lagtai
    Der Wintermorgen dämmerte, als Aruula erwachte. Es war eisig kalt; fahle Helligkeit drang durch die Spalten im Mauerwerk, und sie war allein. Jem'shiin, der die ganze Nacht hindurch am anderen Ende der Scheune geschnarcht hatte, war verschwunden. Aruula hörte ihn, wie er draußen mit den anderen Männern sprach. Ihre Stimmen klangen erregt.
    Gähnend richtete sich die Barbarin auf. Stroh fiel von ihren Schultern auf die Decke, unter der sie geschlafen hatte, und es raschelte, wenn sie die Füße verschob. Aruula sah sich um. Die kleine Scheune war erstaunlich gut gefüllt. An den Stützbalken hingen Dreschflegel und Harken; ledernes Zuggeschirr für die Yakks ruhte ordentlich aufgereiht an der Wand. Irgendwie passte das nicht zu den Männern, die hier lebten.
    »Soll mir egal sein«, entschied Aruula, schwang sich über den Rand des Heubodens und kletterte die kurze Leiter hinunter. Sie hatte vor, nach ihrem Schwert zu suchen. Aruula musste den Bihänder wieder finden – die Waffe ihrer Mutter hatte sie ein Leben lang begleitet und war ihr heute wichtiger denn je.
    Das Scheunentor klemmte. Aruula zerrte daran, bis es nachgab und kratzend über den Steinboden schwang. Die Männer draußen hatten das Geräusch gehört und waren, so schien es, vorzeitig verstummt. Aruula sah sie nachdenklich an.
    Chengai, Lamak, Rai und Narayan umgab eine merkwürdige Aura von Schuld – als fühlten sie sich ertappt –, und da war etwas sehr Beunruhigendes in der Art, wie Chengai diesen großen Knochen hielt.
    »Was geht hier vor?«, fragte die Barbarin.
    Chengai schlug ein Tuch um das bleiche Gebein und überreichte es Narayan. Es fiel kein Wort. Der Saikhan wusste offenbar, was zu tun war. Er eilte davon, eine enge Gasse hinunter, an deren Flanken lauter zerfallene kleine Hütten standen. Aruula versuchte ihn im Auge zu behalten, doch das funktionierte nicht. Chengai, Lamak und Rai verstellten ihr den Weg, und als sich die Barbarin reckte, um ihnen kurzerhand über die Schulter zu sehen, stapfte Jem'shiin dazwischen.
    »Njet! Njet!«, sagte er und wackelte abwehrend mit den Händen. Aruula konnte gerade noch erkennen, dass Narayan nach links abbog. Dann war er verschwunden.
    Die Barbarin tippte Jem'shiin hart mit dem Finger an die Brust. »Seid froh,

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