1582 - Herr der Unterwelt
Straße her gut zu sehen.«
»Oder zu übersehen. Die Geschäfte könnten besser laufen.«
»Bei der Qualität des Essens wundert mich das schon«, meinte Bill.
»Das wissen leider nur Fremde zu würdigen.«
Bill schnippte mit den Fingern. »Wir jedenfalls haben uns Ihre Adresse gemerkt.«
»Freut mich - und gute Fahrt.«
Wenig später saßen wir wieder in dem gemieteten Off Roader. Diesmal sollte ich fahren, weil Bill sich seiner Augenpflege überlassen wollte. Das GPS-System würde uns ans Ziel bringen, da musste ich nur auf die weibliche Stimme hören, die uns die Strecke erklärte.
Es war nicht mehr sehr weit. Nur gab es keine Autobahnen, denn die M4 verlief weiter südlich.
»Dann mal los«, murmelte Bill, der schon halb eingeschlafen war.
Ich startete und dachte daran, was uns wohl am Zielort erwarten würde.
Bill hatte von einem Herrn der Unterwelt gesprochen. Diesen kennenzulernen, darauf war ich schon mächtig gespannt…
***
Grace Taylor fuhr, und sie hatte das Gefühl, dass nicht der Motor sie vorantrieb, sondern ihre Angst die treibende Kraft war.
Lang, unendlich lang kam ihr der Weg vor. Sie verfluchte ihre Lage, die sich nicht verbessert hatte, denn nach wie vor lag dieser Unhold auf dem Dach, als wäre er dort angeleimt worden.
Sie hatte alles versucht, ihn loszuwerden. Auf dem schmalen Weg war sie einige Schlenker gefahren, mal nach rechts, dann wieder nach links, aber sie konnte das Steuerrad nicht zu heftig drehen, dann wäre sie in den Büschen gelandet.
So waren die Schlangenbewegungen des Mini nicht ausreichend, den Verfolger vom glatten Dach zu schleudern.
Ihr Gesicht war schweißnass und verzerrt.
»Komm schon«, flüsterte sie. »Verdammt noch mal, komm endlich! So weit kann es doch nicht mehr sein. Ich bin doch nicht Stunden gefahren.«
Die Angst hatte ihr Zeitgefühl durcheinander gebracht. Alles war so furchtbar für sie. Und sie fragte sich, ob sie den Hundesohn da oben überhaupt noch loswerden konnte.
Es sah im Moment nicht danach aus. Die einzige Hoffnung war die Straße, auf der sie schneller fahren und heftigere Richtungswechsel vornehmen konnte.
Sie näherte sich ihr bereits. Der Bewuchs an den Rändern des Wegs dünnte aus. Sie rechnete damit, nach der nächsten weiten Kurve das graue Band der asphaltierten Straße sehen zu können.
Der Wagen rutschte in die Kurve hinein. Das Totengesicht war längst oberhalb der Frontscheibe verschwunden, aber das Ungeheuer lag nach wie vor auf dem Dach.
Sie sprach mit sich selbst, sie fluchte und dann schrie sie auf. Grace hatte die Kurve hinter sich. Der Blick nach vorn war frei. Sie sah schon die Straße. In ein paar Sekunden würde sie sie erreicht haben und abbiegen können.
Jetzt!
Sie riss das Lenkrad herum. Sehr heftig, weil sie hoffte, dass dadurch die menschliche Last vom Dach geschleudert wurde. Der Unheimliche geriet auch in Bewegung. Seine Beine schlenkerten. Ein Fuß traf die rechte hintere Scheibe.
Das Quietschen der Reifen war verklungen. Die Bahn war für sie frei, und Grace schaute nach vorn.
Ihre Augen wurden groß. Was sie sah, konnte sie kaum fassen.
Auf der Mitte der Straße fuhr ihr ein Mann auf einem Motorrad entgegen, und er nahm den direkten Kurs auf ihren Mini…
***
Immer wenn Jack Clinton auf seiner Maschine hockte, verspürte er ein Gefühl der Freiheit. Vor dem Kauf der alten BMW hatte er das nie geglaubt, sondern nur von anderen Motorradfahrern davon gehört. Es war wirklich so. Er fühlte sich nicht eingeschränkt, und auch wenn die Straßen hier nicht so eben und breit wie auf der Autobahn waren, machte es ihm doch Spaß, durch die Natur zu fahren.
Er kannte nur sein Ziel nicht. Wer ins Gelände wollte, der durfte nicht auf der Straße bleiben und musste eine der wenigen Abzweigungen nehmen.
Aber wo?
Der Konstabler hatte bereits einige passiert und dabei stets angehalten, um nach Spuren zu suchen. Gefunden hatte er noch nichts, aber er würde nicht aufgeben, denn es folgten noch zwei oder drei, bis sich die Straße dann in einer starken Kurve nach Westen wand und in die höheren Berge führte.
Er hatte soeben eine Abzweigung überprüft und sich mit dem enttäuschenden Ergebnis abgefunden, als etwas geschah, womit er nicht gerechnet hatte.
Gegenverkehr!
Aber nicht irgendein Fahrzeug kam ihm entgegen, sondern der Mini der Gesuchten. Das hätte Jack Clinton als einen Erfolg angesehen, wäre da nicht etwas gewesen, was ihn völlig aus der Bahn warf und ihn an seinem Verstand zweifeln
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