1587 - Midnight-Lady
gegangen.«
»Wann?«
»Kurz bevor du gekommen bist.«
»Und warum verschwand sie?«
»Es war wohl besser für sie«, flüsterte die Frau. »Genauer!«
»Sie - sie fürchtete sich. Sie war durcheinander. Sie hat etwas gespürt.«
»Und was?«
»Dass man sie jagen will. Dass man ihr auf den Fersen ist. Genau das hat sie gespürt.«
»Okay, dann weiß ich Bescheid.«
Martha hob die Schultern. »Mehr kann ich dir nicht sagen«, erklärte sie.
»Wenn du sie suchst, dann bist du zu spät gekommen. Hier ist sie nicht mehr, das schwöre ich dir.«
Justine hatte sich alles in Ruhe angehört. Dann lächelte sie, aber ihr Lächeln war nicht eines, das der Frau gefiel. Es wirkte verschlagen und hinterrücks. Sie schien Martha kein Wort zu glauben.
Die Antwort stand diametral zu diesem Lächeln.
»Ich glaube dir sogar, Frau.«
»Danke.«
»Wie heißt du eigentlich?«
»Martha Tresko.«
»Aha.«
»Aber das ist alles, was ich dir sagen kann.«
»Tatsächlich?«
»Ja, glauben Sie mir.« Martha wurde plötzlich förmlich und sah die abwinkende Handbewegung.
»Was ich glaube oder nicht, das musst du mir nicht sagen. Ich spüre nur, dass du mich loswerden willst. Und das hängt nicht mit der Angst zusammen, die du vor mir hast. Dafür gibt es noch einen anderen Grund.«
»Und welchen sollte es geben?«
Justine schob ihren Kopf ein wenig vor und deutete ein Schnüffeln an.
»Ich glaube, dass ich hier etwas rieche«, flüsterte sie. »Ja, und es ist ein ganz spezieller Geruch, wenn du verstehst.«
»Nein, verstehe ich nicht!«
»Lüg mich nicht an!«
Martha schüttelte den Kopf. Im Moment wusste sie wirklich nicht, was diese Unperson meinte.
»Ich kann es nicht sagen! Ich weiß es doch nicht.«
Die Cavallo legte den Kopf schief. »Warum kann ich dir nur nicht glauben?«
»Das weiß ich nicht. Bitte, Selma ist nicht mehr hier. Sie ist aus dem Haus geflüchtet. Das ist eine Tatsache.«
»Ja!« Justine lachte. »Ja, ich glaube dir sogar.«
»Danke.«
»Aber diese Selma interessiert mich nicht mehr. Für mich ist wichtiger, was du hier noch verbirgst. Du kannst mich nicht täuschen, nicht mich, denn ich rieche es.«
Martha presste die Lippen hart zusammen. Sie wusste auf einmal, worauf diese Person hinaus wollte. In ihrem Innern breitete sich eine Kälte aus, die sie als Folge ihrer Angst ansah. Im Mund spürte sie einen salzigen Geschmack, der zugleich von einem bitteren Gallensaft durchzogen wurde. Zudem hatte der Blick dieser Blonden einen heimtückischen und zugleich wissenden Ausdruck angenommen, sodass Martha klar war, auf der Verliererstraße zu sein.
»Warum willst du es mir nicht sagen?«
»Ich - ich - rieche nichts.«
Die Cavallo lachte. »Ja, das glaube ich dir sogar. Du bist ein Mensch, ich jedoch sehe nur so aus. Aber ich bin äußerst sensibel, was einen bestimmten Geruch angeht. Das ist Blut. Ja, Blut. Ich rieche hier das fremde Blut und es stammt nicht vor dir. Es ist nicht dein Blut.«
»Welches dann?«, keuchte Martha.
»Fremdes, aber gutes. Das uns Vampiren schmeckt. Ja, ich rieche es. Ich kann es bereits schmecken, und ich werde es mir holen.«
Martha senkte den Kopf. Sie wusste, dass sie verloren hatte, und konnte von nun an nur noch hoffen, dass die blonde Vampirin mit dem Blut nicht ihres gemeint hatte.
»Schau mich an!«
Der harte Befehl riss Martha aus ihren Gedanken. Sie hob den Kopf und sah, dass die Blonde näher an sie herangetreten war. Plötzlich tauchte zwischen ihren beiden Gesichtern eine Faust auf, die im nächsten Moment gegen Marthas Kopf rammte.
Der Treffer erwischte sie voll an der Stirn. Sie verspürte einen irren Schmerz im Kopf und hatte das Gefühl, plötzlich den Boden unter den Füßen zu verlieren. Und es war nicht nur ein Gefühl, sie sank tatsächlich zusammen, schlug auf, was sie nicht mehr bewusst wahrnahm und blieb bewegungslos liegen.
Die Cavallo schaute auf sie nieder.
»Idiotin«, kommentierte sie leise. »Mich aufhalten zu wollen. Das kann doch nicht wahr sein. Wo gibt es denn so was?«
Sie stieg über die leblose Frau hinweg. Die Gelegenheit, sich ihr Blut zu holen, nahm sie nicht wahr, denn sie hatte etwas ganz anderes vor, und das gefiel ihr besser.
Justine wusste genau, dass sie sich den Blutgeruch nicht eingebildet hatte. Es gab ihn hier im Haus, und er stammte auch nicht von der geflohenen Selma. Den musste jemand anderer hinterlassen haben, und den wollte sie finden.
Noch musste sie sich orientieren. Sie wartete noch im Flur, wo sie
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