1587 - Midnight-Lady
verhängt worden. In andere Zimmer schaute sie hinein. Die Personen, die sich dort aufhielten, waren älter als die Schüler. Hier schienen nur Lehrerinnen zu unterrichten.
Eine saß an ihrem Schreibtisch und telefonierte. Manchmal war sogar ihr Lachen zu hören. Eine andere Frau schaute stoisch in die Glotze. Ihre Beine hatte sie hochgelegt. Mit beiden Händen hielt sie ein mit Rotwein gefülltes Glas fest.
Auch durch ein drittes Fenster konnte sie schauen. Was sie da sah, war sehr menschlich. Ein Vorhang war nicht ganz zugezogen worden. Durch den offenen Spalt schaute sie auf eine Couch. Zwei nackte Menschen lagen dort. Ein kahlköpfiger Mann über einer jungen Frau, die ihren Kopf von einer Seite zur anderen warf, leise schrie, aber nicht das Stöhnen des Mannes übertönte.
Hier hatte Justine nichts zu suchen, obwohl das Blut in den Körpern der beiden Menschen sie schon lockte. Sie stellte sich vor, plötzlich in diesem Zimmer zu erscheinen und sie zu überfallen.
Das musste sie unterdrücken, denn andere Dinge waren wichtiger. Und sie ging auch jetzt davon aus, dass sie sich nicht geirrt hatte. Die Fledermäuse und auch die MidnightLady würden noch erscheinen.
Vielleicht erst bei der Tageswende.
So trat die Cavallo wieder den Rückzug an, um ihren alten Beobachtungsposten wieder einzunehmen.
Sie hatte ihn noch nicht ganz erreicht, da geschah es.
Das Geräusch war nicht unbedingt laut, weil es noch weiter entfernt war.
Justine wusste auch sofort, aus welcher Richtung das Geräusch sie erreichte.
Es kam aus der Höhe.
Aus der Dunkelheit über dem lichtem Wald.
Das Rauschen des Blätterdaches war es nicht. Es war etwas anderes zu hören, und zwar Flappen und Schlagen. Als würden Schwingen heftig bewegt.
Genau das hatte Justine erwartet.
Sie waren noch da. Sie hatten sich nicht zurückgezogen. Sie waren erschienen, um ihre Macht zu demonstrieren, und im Hintergrund würde Selma Blair lauern.
Die blonde Vampirin erreichte den Baum, gegen dessen Stamm sie sich drückte. So hatte sie zumindest so etwas wie Rückendeckung und konnte sich auf ihre Umgebung konzentrieren. Noch waren ihr die Fledermäuse nicht nahe gekommen. Über ihrem Kopf und auch über den Bäumen hatten sie sich zusammengerottet und regelrechte Pulks gebildet, die wie zuckende schwarze Decken in der Luft lagen.
Einige der Tiere hatten sich das Geäst der Bäume als Landeplatz ausgesucht und warteten dort lauernd ab.
Aber auf was warteten sie?
Eine Antwort fand Justine darauf nicht. Zudem gab es keinen Hinweis auf einen Angriff gegen ihre Person. Sie hatte das Gefühl, als würden die Tiere auf jemanden warten, und darauf gab es nur eine Antwort. Sie lauerten darauf, dass ihre Anführerin erschien und etwas in die Wege leitete.
Das konnte ihre Nacht werden. Ein Überfall auf Menschen, die in der Schule ahnungslos schliefen. Das bedeutete Blut im Überfluss für jede Fledermaus und natürlich auch für ihre Chefin.
Ungefähr eine Minute war vergangen, als sich etwas tat und die Stille über dem Kopf der blonden Bestie gestört wurde.
Nicht alle blieben mehr sitzen. Einige rotteten sich zusammen und stiegen gemeinsam in die Luft. Sie bildeten einen dicht zusammenhängenden Pulk, aber es waren noch längst nicht alle Tiere, die sich auf diese Reise begeben hatten.
Es war der Cavallo unmöglich, sie mit ihren Blicken zu verfolgen. Die Nacht verwehrte ihr die Chance, die sie gern gehabt hätte.
Wohin die Fledermäuse flogen, war für sie nicht zu verfolgen, und so blieb ihr nichts anderes übrig, als an ihrem Platz zu bleiben und darauf zu warten, dass noch etwas geschah. Sie konnte sich auch vorstellen, dass sie im Mittelpunkt stehen würde, und bereitete sich darauf vor, ein weiteres Mal einen Angriff dieser Tiere abwehren zu müssen.
Normalerweise wäre sie kein Angriffsziel für die Fledermäuse gewesen.
Hier war es anders, denn diese Tiere handelten nicht aus freien Stücken.
Sie wurden geleitet von einer blutgierigen Person, die sich MidnightLady nannte.
Plötzlich war ein schriller Pfiff zu hören. Er durchschnitt die Stille der Nacht so überraschend, dass selbst die Vampirin zusammenzuckte.
Aber sie empfand dieses akustische Zeichen schon als ein Alarmsignal.
Der Pfiff hatte kein Echo hinterlassen. Das Geräusch war schnell wieder verschwunden, und erneut trat die Stille ein, die allerdings nicht lange andauerte.
Von einem Moment zum anderen löste sich der Pulk der Fledermäuse aus der Warteposition. Eine wahre
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