1587 - Midnight-Lady
das Innere dieses Gebäudes umgestaltet worden war, wusste ich nicht zu sagen. Jedenfalls hatte ich sofort den Eindruck, in einer Schule zu sein. Ich sah mehrere Türen, hinter denen wahrscheinlich Klassenzimmer lagen. Bänke standen an den Wänden, an denen große Bilder hingen. Einige zeigten Landschaften, andere Porträts von Frauen und Männern.
Der Hausmeister hatte leise gesprochen. Ich sah nur seinen Rücken und verstand seine Worte nicht. Hin und wieder nickte er, was ich als ein positives Zeichen wertete.
Schließlich war das Gespräch beendet. Er drehte sich um. Bevor er noch etwas sagen konnte, sprach ich ihn an.
»Ist es hier immer so ruhig?«
»Um diese Zeit schon. Wir achten sehr auf Disziplin. Die Schülerinnen sollen ausgeschlafen sein, wenn der Unterricht beginnt.«
»Und wie heißt Ihre Chefin?«
»Elenor Nelson.«
»Danke. Zu ihr werden Sie mich jetzt führen, oder?«
»Ja, sie erwartet Sie.«
»Da bin ich mal gespannt.«
Das hatte ich nicht nur so dahingesagt, das war ich tatsächlich.
Ich sah hier nichts von irgendwelchen Vampiren. Es gab auch keine Hinweise auf Fledermäuse, dennoch hatte ich den Eindruck, in einer irgendwie seltsamen Atmosphäre zu stehen und war gespannt, welche Erklärungen mir die Leiterin des Internats auf meine Fragen geben würde…
***
Egal wie sich Justine Cavallo auch als ungewöhnliche Vampirin fühlte, die Dunkelheit war schon ihre Zeit. Da ging es ihr am besten, und das war auch in dieser Nacht nicht anders.
Justine war um den großen Bau herumgegangen. An der Vorderseite des Hauses hatten zwei Lampen gebrannt, doch weder an der Seite noch an der Rückfront gab es Licht.
Dort entdeckte sie einen Anbau, der wie ein flacher Schuppen aussah und überhaupt nicht zu diesem Baustiel passte, den die Frontseite präsentierte.
Die Bäume hatten bereits eine ganze Menge Blätter verloren. Sie lagen auf dem Boden und bildeten dort einen Teppich, über den Justine gehen musste, was leider nicht lautlos vonstatten ging, wie sie es gern gehabt hätte. Das typische Geräusch eines Herbstwaldwanderers begleitete sie.
Es gab an der Rückseite keinen Spielplatz, kein Turngelände. Dafür einen lichten Wald, der am Tag wahrscheinlich einigen Durchblick bot, in der Dunkelheit aber wie eine schwarzgraue Mauer wirkte.
Die Blutsaugerin blieb in der Nähe des Hauses. Sie brauchte jetzt eine gewisse Ruhe, um sich konzentrieren zu können. Sollte sich etwas in ihrer Nähe aufhalten, das sie auch nur entfernt betraf, dann würde sie es schnell herausfinden.
Es tat sich noch nichts. Sie wurde von keiner Seite her angegriffen, und auch die nächtlichen Geräusche machten sie nicht misstrauisch. Hin und wieder war ein Rascheln zu hören. Manchmal hörte es sich an wie das Flüstern einer geheimnisvollen Stimme, doch das beunruhigte sie nicht.
Es war eine normale Frühherbstnacht.
Natürlich hatte sie die Fledermäuse nicht vergessen. Sie waren die Augen der MidnightLady. Außerdem agierten sie als Rückendeckung für sie. Bei Justine hatte das nicht geklappt, weil sie nicht gewusst hatten, wer die Cavallo wirklich war.
Justine besaß Geduld. Das hatte sie gelernt, und sie verschmolz dabei fast mit einem Baumstamm.
Sie blieb in den nächsten Minuten in dieser Deckung und wartete einfach nur ab, ob sich in ihrer Umgebung eine Veränderung zeigte. Dabei meinte sie nicht das Erscheinen der MidnightLady, sie dachte mehr an die Fledermäuse, die stets vorausgeschickt wurden.
Auch der Anbau interessierte Justine. Er hatte ein flaches Dach, war einstöckig, und seine Fassade wurde von mehreren Fenstern praktisch durchlöchert. Nicht alle waren erleuchtet, und Justine konnte sich vorstellen, dass sich dort die Zimmer der Lehrpersonen befanden, die nach Schulschluss nicht nach Hause fuhren.
Die Stille blieb. Es gab sicherlich Menschen, die sich vor ihr gefürchtet hätten. Nicht so Justine. Sie wurde nur allmählich ungeduldig, denn sie wollte, dass es weiterging. Auch wurde die Neugierde in ihr immer größer.
Sie verließ ihren Platz am Baum und schlich lautlos auf den Anbau zu, denn die Fenster lockten sie schon.
Es stellte sich ihr niemand in den Weg. Auch aus der Höhe drohte ihr keine Gefahr. Es war alles normal, was ihr auch nicht passte. Zuvor hatte sie eine Aufgabe zu erledigen und wollte ihre Neugierde durch Blicke in die erleuchteten Fenster befriedigen.
Das war nicht bei allen Fenstern im unteren Bereich möglich. Manche waren von innen mit dunklen Gardinen
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