1589 - Der steinerne Templer
die Stimme eines Toten sein müssen. Nur glaube ich nicht mehr daran.«
»Dann ist dieser Templer aus Stein nicht tot?«
»Ich rechne damit.«
»Und was ist der dann?«
Es war klar, dass ich dem Kommissar eine Antwort geben musste. Ich suchte nur nach der richtigen Formulierung, die mir zum Glück einfiel, auch wenn sie schwer zu begreifen war.
»Man kann von einem tiefen und auch sehr langen Schlaf sprechen, der irgendwann beendet ist. Niemand schläft ewig. Es sei denn, er ist tot. Und ich glaube nicht, dass dies bei dem steinernen Templer der Fall ist. Man hat ihn in einen tiefen Schlaf versetzt, aus dem er nun allmählich erwacht.«
Ich hatte alles gesagt und war gespannt auf die Reaktion des Franzosen.
Der bügelte zunächst mit dem ausgestreckten Zeigefinger seinen Oberlippenbart glatt. Dann schaute er mich mit einem Blick an, als wollte er mir jeden Moment ins Gesicht springen. Die Augen traten ihm beinahe aus den Höhlen, als er flüsterte: »Das ist doch nicht dein Ernst - oder?«
»Doch, ist es. Warum sollte ich dir etwas vormachen?«
»So was kann es nicht geben.«
Ich hob beide Hände. »Es ist unser zweiter Fall, an dem wir zusammenarbeiten. Du hast beim ersten schon erlebt, dass du vieles über Bord werfen musstest, was du bisher als unumstößlich angesehen hast. Ich kann dir nichts anderes sagen.«
»Ja, ich weiß.« Er ließ sich auf seinem Stuhl zurückfallen. »Du hast mir viel gesagt, was ich dir auch glaube. Aber was ist mit den beiden Gestalten, die Maurice Vidal gesehen hat? Und ich glaube ihm, er hat sich das sicher nicht aus den Fingern gesogen.«
»Nein, das habe ich auch nicht.«
Vidal betrat mit dem Tablett das Arbeitszimmer und wurde vom Duft eines frisch gekochten Kaffees umweht. Auf dem ovalen Tisch, an dem wir saßen, stellte er das Tablett ab.
Wir bedienten uns, und auch Vidal schenkte sich etwas von der braunen Brühe ein, die mehr als stark war.
»Sie haben gehört, was hier gesprochen wurde?«, fragte der Kommissar.
»Das habe ich, und ich akzeptiere es, das es jemandem gelingt, wie auch immer, nach so langer Zeit aus einem tiefen Schlaf oder einem Fluch zu erwachen.«
»Wie seine Aufpasser - oder?«
Ich mischte mich ein. »Nimm sie hin. Ich habe sie auch hingenommen, und ich sage dir, dass man sie als Engel des Bösen bezeichnen kann.«
»Damit kann ich nichts anfangen.«
»Wir werden das Rätsel schon lösen.«
Er schaute mich an wie jemand, der kein Wort glaubte, aber er ritt nicht weiter auf seinen Zweifeln herum.
Da niemand sprechen wollte, übernahm ich wieder das Wort.
»Sie, Maurice, sind wichtig.«
»Ach? Wieso?«
»Das kann ich Ihnen sagen. Denken Sie daran, dass Sie derjenige sind, der am meisten über Armand de Valois weiß.«
Vidal wusste nicht, was er darauf erwidern sollte. Er schüttelte den Kopf, dann nickte er, hob schließlich die Schultern und fragte, ob ich nicht deutlicher werden könnte.
»Sicher. Sie haben mich nach Frankreich geholt. Sie wissen, wer ich bin, auch wer ich mal gewesen bin. Zudem sind Sie Historiker und haben sich mit der Vergangenheit beschäftigt. Dabei sind Sie auf die Spur des Armand de Valois gestoßen. Sie haben sich mit diesem Geschlecht befasst und herausgefunden, dass es zwei Cousins gegeben hat, die sich überhaupt nicht verstanden. Die sich spinnefeind waren. Die verschiedene Wege gingen, wobei es Hector geschafft hat, die Führung der Templer zu übernehmen, während Armand immer im Hintergrund stand. Er und sein Cousin haben sich bekämpft bis aufs Blut. Bei beiden saß der Hass tief. Ist das richtig?«
»Bisher schon.«
»Gut. Und wie ging es weiter?«
»Armand hat es nicht ertragen, immer nur hinter Hector zu stehen.«
»Das dachte ich mir. Aber was ist genau passiert? Haben Sie da eine Ahnung?«
»Na ja, ich bin nicht dabei gewesen. Aber es muss schweren Ärger gegeben haben. Hector hat seinen Cousin dann aus dem Weg geschafft. Das habe ich in den alten Unterlagen gefunden.«
»Wie hat er es getan? Er hat ihn nicht getötet - oder?«
»So ist es. Wie er es genau gemacht hat, das weiß ich nicht. Ich nehme aber an, dass er ihn mit einem Fluch belegte, statt ihn zu töten. Und dieser Fluch hat ihn praktisch aus dem Weg geräumt.«
»Sehr gut«, lobte ich. »Dann ist Armand also zu Stein geworden, weil man ihn den steinernen Templer nennt?«
»Das weiß ich nicht genau. Es kann sein, dass sich dieser Begriff auch erst im Laufe der Jahre gebildet hat. Möglich ist eben alles.«
»Aber Sie haben
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