1592 - Der Tiermensch
gedacht, dass du es einfach hinnehmen würdest und nicht reagieren wirst.«
»Doch, doch, das mache ich schon.«
»Super. Dann werde ich starten und zu diesem Noah Lynch fliegen.« Sie sprach schnell weiter, bevor Maxine etwas sagen konnte. »Ich werde vorsichtig sein, und ich verspreche dir, dass er mich nicht zu Gesicht bekommt.«
»Das ist das Wenigste.«
»Sagst du mir dann, wo er wohnt?«
Maxine nickte. »Es ist ein Försterhaus, das eine ganze Zeit lang leer stand. Er hat es gemietet. Es ist ein Blockhaus und steht direkt am Wald.«
»Genauer.«
Maxine holte sicherheitshalber eine Karte von der Gegend. Beide beugten sich darüber und waren wenig später zufrieden, denn Maxine konnte ihr zeigen, wo das Ziel lag.
»Das ist okay.«
»Aber gib höllisch acht.«
»Darauf kannst du dich verlassen.«
Beide erhoben sich und nahmen sich in die Arme. Es war ein kurzer Abschied. Nachdem sich Carlotta wieder für die kalte Nacht angezogen hatte, brachte Maxine ihre Ziehtochter noch bis zur Haustür. Ein letztes Winken, ein kurzer Anlauf, dann startete Carlotta und war wenig später von der Dunkelheit verschluckt worden.
Maxine Wells schaute ihr lächelnd nach. Sie beneidete das Vogelmädchen und wünschte sich hin und wieder ebenfalls diesen Zustand. Doch dazu würde es nie kommen. Sie empfand es auch nicht als tragisch. Jeder hatte seinen Platz im Leben.
Auch ein Mann wie der Geisterjäger John Sinclair, den Maxine Wells in der nächsten Minute anrufen wollte…
***
Es war die Hölle!
Die Hölle in einem Käfig, der auf den Namen Automobil hörte.
Noah Lynch fühlte sich eingesperrt. Sowohl äußerlich als auch in seinem Innern. Es ging darum, dass er nicht mehr sein eigener Herr war. In ihm kochte es. Der Biss dieser Morgana Layton war nicht ohne Folgen geblieben, und die Folgen würden sich noch wesentlich deutlicher zeigen, das stand für ihn fest. Bisher erlebte er noch die Anfänge der Verwandlung, und erhoffte, dass er noch so lange menschlich blieb, bis er sein Zuhause erreicht hatte. Dort befand er sich in einer relativen Sicherheit, da war er zumindest allein.
Ewas geschah mit seinem Blut. Um das zu beschreiben, brauchte er zwei Begriffe. Es kochte und brodelte in seinem Innern, und genau das trieb ihm den kalten Schweiß ins Gesicht und auf den Körper.
Hitzewellen durchrasten ihn, und es fiel ihm immer schwerer, den Blick normal nach vorn zu richten und die Gewalt über den Wagen zu behalten.
Es war alles anders geworden. Sein Leben würde sich radikal verändern, falls man noch von einem Leben sprechen konnte.
Er saß nicht entspannt hinter dem Lenkrad. Das war nicht mehr möglich.
Er hatte sich nach vorn gebeugt, starrte durch die Scheibe und sah die hellen Lichtfinger der Scheinwerfer, die die Dunkelheit vertrieben und dabei auf und ab tanzten.
In seinem Kopf schwirrten wirre Gedanken. Sie zu ordnen war er nicht in der Lage. Es lief alles auf ein bestimmtes Ziel hinaus. Er musste das Haus erreichen und dort mit sich zurechtkommen. Er konnte nichts anderes tun, als abzuwarten, was noch weiter geschehen würde.
Er traute sich nicht, einen Blick in den Innenspiegel zu werfen. Er achtete nur auf den Druck hinter seiner Stirn. Und der hatte zugenommen. Die Haut fühlte sich an, als wäre sie zum Zerreißen gespannt. Er wartete nur auf den Moment, wo sie aufplatzen würde, um dem Platz zu schaffen, was noch dahinter lauerte.
Das Fell! Die feinen Härchen, die sich dazu verdichteten und bald seinen gesamten Körper bedecken würden. Auch um seinen Mund herum spürte Noah Lynch bereits das Ziehen. Auch das war ein Zeichen, dass eine weitere Veränderung dicht bevorstand.
Das brachte ihn wieder dazu, an diese Morgana Layton zu denken. Auch ihr so wunderschönes Gesicht hatte sich verwandelt. Aus dem Kussmund war eine Tierschnauze geworden, mit mächtigen Zähnen.
Und das Gleiche würde auch mit ihm passieren.
Noahs Hände umkrampften das dunkle Lenkrad. Zwar war die Straße, über die er fuhr, nicht uneben, aber er hatte sein Fahrzeug nicht so in der Gewalt, wie es hätte sein müssen.
Ihm fehlte die Konzentration, und so war es ganz natürlich, dass er dabei Schlangenlinien fuhr, ohne es zu wollen.
Er konnte froh sein, dass es keinen Gegenverkehr gab. In der Nacht erst recht nicht. Die Strecke war auch tagsüber so gut wie nicht befahren, denn sie führte nicht in eine der einsamen und verstreut liegenden Ortschaften, sondern zum Wald hin und an seinem Haus vorbei.
Immer wieder lenkte
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