1592 - Der Tiermensch
Layton!
Mitten in der Nacht hatte ich diesen Namen gehört, der mir von Maxine Wells genannt worden war. Und sie hatte sich überrascht gezeigt, dass ich ihn kannte.
»Du kannst damit etwas anfangen, John?«
»Und ob ich das kann. Sie ist so etwas wie eine Vertreterin des Königs aller Wölfe, der auf den Namen Fenris hört.«
»Den kenne ich nur aus der nordischen Mythologie.«
»Richtig.«
»Und diese Morgana Layton gehört zu ihm?«
»Ja, Max.«
»Mein Gott, was soll das werden?«
»Ich weiß es nicht«, sagte ich, »denn noch kenne ich die Zusammenhänge nicht.«
»Ja, aber müsste ich denn damit rechnen, dass dieser - dieser Wolfskönig noch erscheint?«
»Das kann ich dir nicht sagen, Max. Es ist möglich, muss aber nicht sein.«
»Und jetzt?«
Ich entnahm dem Klang ihrer Stimme, dass sie sich damit schwergetan hatte, diese Frage zu stellen. Mein Lächeln sah sie ja nicht, dafür hörte sie mich sagen: »Du hast doch nicht angerufen, um mir das zu sagen.«
»Unter anderem.«
»Und weiter?«
»Na ja, John, ich denke, dass Carlotta und ich allein nicht mehr zurechtkommen. Und wenn es so ist, dass du diese Morgana Layton kennst und sie nicht eben deine Freundin ist, liegt es doch auf der Hand, dass du dich in den Flieger nach Dundee setzt.«
»Genau das werde ich auch tun, Max. Es wäre ja nicht das erste Mal, dass wir auf diese Art und Weise mal wieder zusammenkommen. Und ich will ehrlich sein. Wenn ich mir überlege, was Carlotta erlebt hat, kann man von einem großen Glück sprechen, dass sie so glimpflich davongekommen ist. Morgana hätte sie auch anders behandeln können.«
Es folgte eine Pause. Dann sagte Maxine: »Wenn du das meinst, John.«
»Ja, denn ich kenne sie.«.
»Dann kann ich dich morgen vom Flughafen abholen?«
»Nein, ich werde mir ein Taxi nehmen. Bleibt ihr mal zu Hause.«
Ich hörte sie scharf atmen. »Ist es so schlimm?«
»Das kann ich noch nicht sagen. Aber zu zweit ist man sicherer als allein.«
»Okay, ich werde mich daran halten und hoffe, dass Carlotta unversehrt zurückkehrt.«
»Das wird sie schon. Mach dir keine zu großen Sorgen.«
»Dann guten Flug, John. Ich freue mich.«
»Ich mich auch.«
Nach diesen Worten beendete ich das Gespräch.
Ich blieb noch auf der Bettkante sitzen und starrte auf den Boden. Der Name Morgana Layton wollte mir nicht mehr aus dem Sinn.
Wie lange hatte ich schon nichts mehr von ihr gehört, aber auch wenn sie sich im Hintergrund hielt, sie kehrte immer wieder zurück, und dafür hatte sie jedes Mal auch einen Grund.
Ich war gespannt, wie er dieses Mal aussah…
***
Er war kein Mensch mehr, sondern eine Mischung aus einem menschlichen Wesen und einem Tier.
Ein Tiermensch. Halb Wolf, obwohl sich sein Mund noch nicht verändert hatte. Er war zwar fast durch das dichte Fell zugewachsen, aber seine Lippen waren zu erkennen, wie auch eine Hälfte der Nase noch einen normalen Anblick bot.
Das war kein Haar mehr, das struppig auf seinem Kopf wuchs. Man musste es als Fell ansehen, und für Carlotta sah Noah aus wie ein lebendig gewordener Albtraum, obwohl sie sich noch nicht von ihm bedroht fühlte.
Sie sah ihn, er sah sie nicht. Zwar hätte er nur den Kopf zu drehen brauchen, um sie hinter dem Fenster zu entdecken, doch das tat er nicht, denn er blickte auf den Boden und hielt seine Hände, die keine mehr waren, sondern Krallen, gefaltet.
Das war also mit ihm passiert, weil er von dieser Morgana Layton gebissen worden war.
Über Carlottas Körper rann ein Schauer, als sie daran dachte, dass ihr das Gleiche hätte zustoßen können. Wäre ihr nicht die Flucht durch die Luft gelungen, hätte sie inzwischen vielleicht ähnlich ausgesehen wie diese Gestalt.
Das Vogelmädchen wusste nicht, welch eine Zeitspanne vergangen war, als die Gestalt auf dem Wannenrand plötzlich zusammenzuckte und den Kopf anhob.
Das Fenster lag genau in seiner Blickrichtung, und plötzlich fühlte Carlotta die beiden verschiedenen Augen auf sich gerichtet.
Sah er sie?
In den nächsten Sekunden tat sich nichts, bis Noah Lynch plötzlich mit einer heftigen Bewegung aufstand. Er ging einen Schritt auf das Fenster zu. Sein Gesicht verzerrte sich dabei.
Er öffnete den Mund, in dem noch keine Reißzähne gewachsen waren, aber sein Fauchen und Keuchen war für Carlotta trotz der Scheibe zwischen ihnen nicht zu überhören.
Sie spürte förmlich den Strom der Feindschaft, der sie erreichte. Und sie wusste, dass ihr jetzt nur noch eines blieb:
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