1592 - Der Tiermensch
in dem Wagen, der so schnell aus der Richtung unseres Hauses kam? Der Fahrer schien es ziemlich eilig zu haben.«
»Das ist auch der Fall gewesen.«
»Und was wollte er von dir?«
Maxine schüttelte den Kopf.
»Lass uns erst mal ins Haus gehen.«
»Okay.«
Maxine ging vor. In ihrem Kopf rotierten noch immer die Gedanken. Es würde auch noch dauern, bis sie alles wieder in die Reihe gebracht hatte und sie wieder normal denken konnte.
Carlotta folgte ihr. Sie war froh, in die Wärme zu kommen. Da die Tür zum großen Wohnzimmer offen stand, sah sie den unruhigen Schein des Kaminfeuers hinter der Glasscheibe flackern.
Nur hatte Maxine nicht dieses Zimmer betreten, sie war in die Küche gegangen und saß bereits am Tisch. Das Essen war noch nicht am Kochen. Die Pilze lagen in einem Tuch, und die Nudeln befanden sich noch in der Packung. Das wies darauf hin, dass die Köchin gestört worden war.
»Setz dich bitte«, murmelte Maxine.
»Klar.« Carlotta befreite sich von ihrem Umhang, hängte ihn über eine Stuhllehne und setzte sich so behutsam wie eine Fremde, die zum ersten Mal hier war, auf den Stuhl daneben.
Maxine schaffte ein Lächeln. »Das Essen ist noch nicht fertig, und das hat einen Grund.«
»Du sprichst von deinem Besucher?«
»Ja, von Noah Lynch.«
»Was wollte er denn von dir?«
Maxine überlegte genau. Dann sagte sie: »Er hat mich aufgesucht, um mir von einer Begegnung zu berichten, die er mit einer fremden Frau gehabt hat.«
»Ach! Er auch?«
»Genau. Die Frau hieß Morgana Layton.«
Carlotta hob die Augenbrauen. »Morgana? Diesen Namen nannte mir auch die Frau, der ich am Waldrand begegnet bin.«
»Kannst du mir vielleicht ihr Aussehen beschreiben?«
»Klar.«
»Dann bitte.«
Das Vogelmädchen tat es. Dabei sah sie unentwegt in das Gesicht der Tierärztin, und ihr fiel auf, dass der sorgenvolle Ausdruck darauf nicht verschwinden wollte.
»Das muss sie sein. Genau sie«, erklärte Maxine seufzend.
»Ach. Und was ist daran so schlimm?«
»Carlotta, du glaubst gar nicht, welch ein Glück du gehabt hast. Diese Morgana Layton, die aussieht wie ein Mensch, existiert auf zwei Ebenen. Zum einen ist sie ein Mensch, das steht außer Zweifel. Aber es gibt noch etwas anderes.«
»Und was?« Jetzt war auch Carlotta aufgeregt. Sie sah, dass sich das Gesicht ihrer Ziehmutter rötete und sie Mühe hatte, eine Antwort zu geben.
Maxine strich durch ihr Haar, nickte vor sich hin und sagte dann das, was einfach raus musste.
»Morgana Layton ist nicht nur ein Mensch oder einer Frau. Sie ist noch etwas anderes. Und zwar eine Werwölfin. Begreifst du jetzt, welch ein Glück du gehabt hast…?«
***
Carlotta sagte zunächst nichts. Sie starrte auf den Tisch und schien vereist zu sein. Es war eine völlig natürliche Reaktion, und erst als sie die Luft ausblies, kam sie wieder zu sich.
»Eine - eine - Werwölfin?«
»Ja.«
»Und woher weißt du das?«
Maxine runzelte die Stirn. »Kannst du dir das nicht denken? Es ist Noah Lynch gewesen, der mir dies sagte.«
»Und er hat sie gesehen?«
»Nicht nur das, Carlotta. Er hat einen sehr nahen Kontakt mit ihr gehabt. Zu nahe.«
»Was heißt das?«
»Er wurde von dieser Morgana Layton gebissen.«
Das Vogelmädchen sagte nichts. Sie dachte daran, was sie über diese Kreaturen wusste. Es war nicht viel, aber ihr war auch klar, dass der Biss eines Werwolfs bei einem Menschen nicht ohne Folgen blieb. Mit dem Biss wurde ein Keim in ihn gelegt, der dafür sorgte, dass sein normales Menschsein vorbei war und er allmählich in einen anderen Zustand überging. Er durchlitt eine Metamorphose und wurde immer mehr zu einem Tier.
Nein, zu einem Tiermenschen!
»Hast du jetzt alles begriffen?«
Carlotta nickte. »Das ist grauenhaft. Es wird für ihn kein Zurück mehr geben, denke ich.«
»Das ist leider wahr.«
»Und er war bei dir und hat wahrscheinlich hier am Küchentisch gesessen.«
»Ja, das hat er.«
»Wie hat er sich denn verhalten?« Die Tierärztin räusperte sich vor ihrer Antwort.
»Ich bin der einzige Mensch, dem er sich anvertraut hat. Als er ins Haus kam, war er noch völlig normal. Ich muss hinzufügen, dass es da noch nicht ganz dunkel gewesen war. Dann aber erlebte ich den Beginn seiner Veränderung…«
Sie erzählte haarklein, was hier in der Kühe geschehen war, und Carlotta hört aufmerksam zu, wobei sie eine Gänsehaut bekam.
»Und jetzt weißt du alles.«
»Stimmt. Und mir ist auch klar, welch ein Glück ich gehabt habe.« Sie
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