16 - Im Schatten des Grossherrn 05 - Durch das Land der Skipetaren
die beiden über uns liegenden Gemächer dieselbe Höhe besitzen, so liegt der Fußboden des offenen Gemaches höchstens elf Ellen hoch. Rechne ich dazu zwei Ellen, welche die Mauer beträgt, die das Gemach da oben umschließt, so sind es etwa dreizehn Ellen.“
„Man müßte einen Merdiwan (Leiter) von dieser Höhe haben, und sicher ist ein solcher vorhanden.“
„Das denke ich auch. Kann die Fußbodenklappe verschlossen werden?“
„Nein.“
„Da habt ihr es. Und die andern Fußböden haben wohl gar keine Klappe um die Treppenöffnungen zu verschließen?“
„Nein.“
„So steht also unsern Feinden, welche jedenfalls eine Leiter besitzen, der Weg zu uns offen. Sie steigen hinauf und kommen dann von oben herabgeschlichen, von woher wir sie sicherlich nicht vermuten. Ich muß selbst einmal hinauf, um mir die Sache anzusehen. Osco, kannst du mich auf die Achseln nehmen?“
„Ja, Herr; steige auf!“
Ich setzte mich ihm reitend auf die Schulter, und er trug mich hinauf.
Jedes Stockwerk des Turmes bestand, wie das Erdgeschoß, nur aus einer Stube. Die Fußböden hatten Löcher, durch welche die Treppe führte. Diese Löcher waren offen, außer im obersten Stock, wo eine starke, schwere Klappe zum Verschluß vorhanden war. Gummiränder machten diese Klappe völlig wasserdicht schließen. Die Mauer, durch welche dieses obere Gemach gebildet wurde, war nur zwei Ellen hoch, so daß zwischen den Säulen, auf denen das Dach ruhte, sich offene Räume befanden. Diese gestatteten eine liebliche Fernsicht hinaus auf die Felder und Fruchthaine.
Da oben führte außen ein Balkon rund um den Turm. Die Steine waren gelockert und sogar an einigen Stellen hinabgestürzt. Man durfte es nicht wagen, sich hinauszustellen, und das war gewiß der Grund, weshalb man die Türöffnung, welche einst hinausführte, vermauert hatte.
Hier war, wie gesagt, die einzige für uns bedrohliche Stelle. Mit einer Leiter konnte man heraufsteigen und dann über die drei Treppen hinab zu uns gelangen. Wollten wir uns dagegen verwahren, so mußten wir die Klappe von innen so verrammeln, daß sie von außen nicht geöffnet werden konnte.
Die Fernsicht hatte sich übrigens etwas getrübt. Schon während der letzten Stunde unseres Rittes hatten wir Wolken bemerkt, welche jetzt den Horizont vollständig umsäumten und immer höher zogen.
Kaum waren wir wieder in unser Wohnzimmer hinabgestiegen, so kam ein junger, kräftiger Bursche, welcher zwei Gefäße mit Trink- und Waschwasser brachte. Er hatte ein offenes kluges Gesicht und betrachtete uns mit freundlichen, forschenden Blicken.
„Sallam!“ grüßte er. „Der Herr sendet mich, euch Wasser zu bringen, Effendi. Das Essen wird sehr bald fertig sein.“
„Warum kommt Humun nicht?“
„Der Herr bedarf seiner.“
„Er sagte uns doch das Gegenteil!“
„Seine Beine beginnen zu schmerzen; da muß er den Diener haben!“
„Also werden wir dich bekommen?“
„Ja, Herr, wenn du es nicht anders wünschst.“
„Du gefällst mir besser als Humun. Du bist wohl Janik, der Bräutigam Ankas?“
„Ja, Herr. Du hast sie reich beschenkt. Sie hat das Geld erst angesehen, als sie heimkam, und ich soll es nun wieder zurückgeben, weil du dich geirrt haben mußt. So viel hast du gewiß nicht geben wollen.“
Er hielt mir das Geld hin.
„Ich nehme es nicht wieder, denn ich habe gewußt, wieviel ich gab. Es gehört deiner Anka.“
„Das ist aber doch zuviel, Herr!“
„Nein. Vielleicht erhältst du auch ein solches Geschenk, wenn ich mit deiner Bedienung zufrieden bin.“
„Ich mag kein Bakschisch, Effendi. Ich bin arm, dich aber werde ich gern bedienen. Anka hat mir gesagt, daß du unseres Glaubens seist und sogar in Rom den heiligen Vater gesehen habest. Da ist es mir eine Sache des Herzens, dir meine Ergebenheit zu bezeugen!“
„Ich sehe, daß du ein braver Bursche bist, und würde mich freuen, wenn ich dir irgendwie von Nutzen sein könnte. Hast du einen Wunsch?“
„Ich habe nur den einen Wunsch, Anka recht bald mein Weib nennen zu können.“
„So siehe zu, daß du die tausend Piaster recht bald beisammen hast!“
„Ah, Anka hat schon geplaudert! Übrigens habe ich die Tausend fast beisammen. Anka ist aber mit den ihrigen noch nicht so weit.“
„Wieviel fehlt dir noch?“
„Zweihundert nur.“
„Wann wirst Du sie verdient haben?“
„Nun, zwei Jahre wird es wohl noch währen. Doch ich muß Geduld haben. Stehlen kann ich mir das Geld ja nicht, und Habulam zahlt
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