16 - Im Schatten des Grossherrn 05 - Durch das Land der Skipetaren
sind noch nicht da. Wären sie gekommen, so hätte ich sie sehen müssen. Der Fleischer wohnt mir gegenüber, da drüben in dem Hause, welches du durch den Laden siehst. Er war auch gar nicht daheim, sondern er ist erst vor kaum einer Stunde nach Hause gekommen.“
„Willst du ihm nicht sagen lassen, er möge sich zu mir bemühen, denn ich hätte mit ihm zu reden?“
„Wie du befiehlst. Soll ich bei eurem Gespräch zugegen sein?“
„Nein. Ich verlange nur, daß du nicht das Geringste gegen ihn merken läßt; sei so freundlich mit ihm wie immer.“
Er ging hinaus, um den Boten zu schicken, den ich dann im Hause des Fleischers verschwinden sah. Auf das Erscheinen desselben war ich ungemein neugierig. Ich bereitete mich vor, einen kriechenden, höflichen, von Schmeicheleien überfließenden Menschen zu sehen. Ich war der Ansicht, daß er Hehler und nicht ein tätiges Mitglied der Bande sei.
Ich nahm die Koptscha heraus, welche ich dem Ismilaner Wirt Deselim abgenommen hatte, und steckte sie vorn an meinen Fez. Halef tat mit der seinigen dasselbe. Zu bemerken ist, daß ich das grüne Turbantuch nicht mehr trug.
Diese Koptscha als das Zeichen der Mitgliedschaft der Bande mußte uns vor dem Fleischer legitimieren. War der Mübarek mit seinen Begleitern nicht angekommen, so durfte ich hoffen, heute hinter das so lange vergeblich gesuchte Geheimnis zu kommen. Natürlich schärfte ich meinen Gefährten streng ein, freundlich mit dem Mann zu sein und ja alles zu unterlassen, was sein Mißtrauen erwecken könnte.
Dann sah ich ihn mit dem Boten drüben aus dem Hause kommen. Ich hatte mich geirrt. Er war ein ganz anderer, als ich ihn mir vorgestellt hatte.
Seine Gestalt war hoch und kräftig, schlank und sehnig, wie diejenige eines echten Bergbewohners. Er trug einen Fez, rote Pumphosen, eine blaue Weste, mit Silberschnüren verziert, und eine rote, goldgestickte, weitärmelige kurze Jacke. Ein gelbseidener Schal, welcher um seine Hüften geschlungen war, enthielt den Handschar und zwei Pistolen. An den Füßen trug er glänzende Stiefel, welche bis zum Knie reichten, wo die Hose sich in ihnen verlief.
Draußen im Hof wechselte er einige kurze Worte mit dem Wirt; dann kam er herein. Seine dunklen Augen überflogen uns mit einem scharfen Blick, welcher eine längere Weile auf mir haften blieb. Diese Augen machten einen eigenartigen Eindruck auf mich. Sie waren kalt, herzlos, grausam. Es schien, als ob sie niemals mild blicken könnten. Einen Moment lang zogen sie sich zusammen, so daß zu beiden Seiten an den Winkeln kleine Fältchen entstanden. Dann sahen sie gleichgültig unter den Lidern hervor.
Er grüßte und verbeugte sich wie ein Mann, welcher höflich sein will, ohne seiner Selbstachtung etwas zu vergeben, und fragte:
„Bist du der Effendi, welcher mit mir sprechen will?“
„Ja. Verzeihe, daß ich dich störe, und setze dich.“
„Gestatte, daß ich stehen bleibe. Meine Zeit ist kurz.“
„Vielleicht werde ich dich länger in Anspruch nehmen, als du meinst. Oder ist deine Zeit vielleicht deshalb so kurz bemessen, weil du Gäste hast?“
„Ich habe keine Gäste.“
„Und erwartest du auch keine?“
„Nein“, erwiderte er kurz.
„So bitte ich dich, Platz zu nehmen. Ich habe einen kranken Fuß – ich kann nicht stehen, und es würde mich beschämen, sitzen zu müssen, während du höflich bist.“
Jetzt ließ er sich nieder. So scharf ich ihn betrachtete, ich konnte doch nichts entdecken, was geeignet gewesen wäre, Argwohn zu erregen. Er war ganz der selbstbewußte Skipetar, welcher zu einem Fremden geladen ist und nun erwartet, den Grund davon zu hören. Den Eindruck eines Heuchlers, eines hinterlistigen Menschen, eines versteckten Hehlers machte er gar nicht.
„Kennst du das?“ fragte ich, auf die Koptscha deutend.
„Nein“, antwortete er.
Das hatte ich erwartet. Er konnte sich mir, dem ihm ganz Fremden, doch nicht gleich auf die erste Frage preisgeben.
„Siehe dir diesen Knopf genau an!“
Er betrachtete ihn mit einem gleichgültigen Blick und sagte dann:
„Pah, ein Knopf! Hast du mich seinetwegen holen lassen?“
„Ja“, erwiderte ich ohne Umschweife.
„Ich handle mit Pferden und Rindern, nicht aber mit Knöpfen“, lautete seine Antwort.
„Das weiß ich wohl. Mit dieser Art von Knöpfen wird überhaupt kein Handel getrieben. Ich bin gekommen, um dir einen Gruß zu bringen.“
„Von wem?“ fragte er kühl.
„Von Deselim, dem Wirt in Ismilan, und von seinem
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