16 Science Fiction Stories
Gestern abend sah ich Miss Kinnian wieder. Ich vermied jede Diskussion über intellektuelle Konzepte und versuchte, die Unterhaltung auf einer einfachen, alltäglichen Ebene zu belassen, aber sie starrte mich groß an und fragte mich, was ich mit der mathematischen Variantenäquivalenz in Dorbermanns fünftem Konzert meinte.
Als ich es ihr zu erklären versuchte, unterbrach sie mich und lachte. Ich glaube, ich wurde wütend, aber vielleicht nähere ich mich ihr auf der falschen Basis. Ganz gleich, was immer ich mit ihr zu diskutieren versuche, ich bin nicht in der Lage, zu kommunizieren. Ich muß mir noch einmal Vrostadts Gleichungen über Ebenen semantischer Progression vornehmen. Ich finde, daß ich mich nicht mehr sehr gut mit anderen Menschen verständigen kann. Gott sei Dank habe ich Bücher, Musik und Dinge, über die ich nachdenken kann. Die meiste Zeit bin ich allein in meiner Wohnung bei Mrs. Flynn und spreche kaum zu jemandem.
20. Mai
Wenn der Vorfall nicht passiert wäre, hätte ich den neuen Tellerjungen, einen Buben von ungefähr sechzehn Jahren, in dem Eckrestaurant, in dem ich meine Abendmahlzeit einnehme, wahrscheinlich gar nicht bemerkt.
Die Teller flogen zu Boden, zersplitterten und verstreuten sich in kleinen, weißen Stücken unter den Tischen. Benommen und erschreckt stand der Junge da und hielt das leere Tablett in den Händen. Die Pfiffe und Rufe der Gäste (die Schreie wie »Hallo, dahin ist der Profiit! …« und »nun, der hat wirklich nicht lange hier durchgehalten …«, die unweigerlich dem Brechen von Geschirr in einem Restaurant folgen) schienen ihn zu verwirren.
Als der Wirt kam, um nachzusehen, was los war, kauerte sich der Junge zusammen, als erwartete er, geschlagen zu werden, und warf die Arme hoch, um sich dagegen zu schützen.
»Schon gut! Schon gut, du Idiot«, rief der Wirt, »steh nicht so blöd herum! Hol den Besen und feg den Dreck zusammen. Einen Besen … einen Besen, du Idiot! Er ist in der Küche. Räum den Dreck weg.«
Der Junge sah, daß er nicht bestraft werden würde. Der furchtsame Ausdruck verschwand von seinem Gesicht, er lächelte und summte eine Melodie vor sich hin, während er mit dem Besen den Boden säuberte. Ein paar der ungehobelteren Gäste machten noch ein paar Bemerkungen, amüsierten sich auf seine Kosten.
»He, Freundchen, da hinter dir ist noch ein nettes Stück …«
»Los, nochmal …«
»Der ist gar nicht so blöd. Es ist einfacher, sie zu zerbrechen, als sie abzuwaschen …«
Seine Augen schweiften über die Menge amüsierter Zuschauer, dann spiegelte sich ihr Lächeln langsam in seinem Gesicht wider und wurde endlich zu einem ungewissen Grinsen über einen Witz, den er ganz offensichtlich nicht verstand.
Mir wurde übel, als ich dieses dumme, läppische Lächeln sah, die großen, hellen Augen eines Kindes, das nichts als gefallen wollte. Sie lachten über ihn, weil er geistig zurückgeblieben war.
Auch ich hatte über ihn gelacht.
Plötzlich war ich sehr wütend auf mich. Ich sprang auf und schrie: »Seid ruhig! Laßt ihn zufrieden! Es ist nicht sein Fehler, er kann nichts dafür! Er versteht es nicht! Aber schließlich ist er doch ein Mensch!«
Stille breitete sich im Raum aus. Ich verfluchte mich, weil ich die Beherrschung verloren hatte und eine Szene heraufbeschwor. Ich versuchte, nicht mehr den Jungen anzusehen, während ich meine Rechnung bezahlte und, ohne das Essen berührt zu haben, das Lokal verließ. Ich schämte mich für uns beide. Es ist seltsam, daß Leute mit ehrlichen Gefühlen, die nie aus jemandem einen Vorteil schlagen würden, der ohne Arme oder Beine oder Augen geboren wird – wie solche Leute sich über jemanden mit geringer Intelligenz lustig machen können. Es machte mich wild, daran zu denken, daß vor nicht allzu langer Zeit ich selbst, wie dieser Junge, den Clown für sie gespielt hatte.
Fast hätte ich es vergessen.
Ich hatte das Bild des alten Charlie Gordon vor mir selbst versteckt, weil es jetzt, da ich intelligent war, aus meinen Gedanken gestrichen werden mußte. Aber heute, als ich diesen Jungen beobachtet hatte, habe ich mich zum erstenmal selbst klar erkannt. Ich war wie er gewesen!
Vor noch gar nicht so langer Zeit hatte ich erfahren, daß die Menschen über mich lachten. Jetzt mußte ich erkennen, daß ich, ohne es zu wissen, mit ihnen in das Gelächter über mich selbst einstimmte. Das schmerzt wohl am meisten von allem.
Ich habe meinen Tagesreport immer wieder und wieder gelesen
Weitere Kostenlose Bücher