16 Science Fiction Stories
schmücken?
28. April
Ich verstehe nicht, wieso ich niemals zuvor bemerkt habe, wie schön Miss Kinnian wirklich ist. Sie hat braune Augen und flauschiges, braunes Haar, das sie im Nacken zusammenhält. Sie ist erst vierunddreißig Jahre alt! Ich glaube, daß ich von Anfang an das Gefühl gehabt habe, daß sie ein unerreichbares Genie wäre – und sehr, sehr alt. Jetzt aber wird sie mit jedem Mal, das ich sie sehe, jünger und schöner.
Wir aßen zusammen und unterhielten uns lange. Als sie sagte, daß ich so schnell vorankäme, daß ich sie bald weit hinter mir lassen würde, mußte ich lachen.
»Es ist wahr, Charlie. Du kannst schon besser lesen als ich. Du liest eine ganze Seite mit einem Blick, während ich nur immer wenige Zeilen auf einmal erfassen kann. Und du erinnerst dich an jedes einzelne Wort, das du liest. Ich bin schon froh, wenn ich die hauptsächlichsten Gedanken und die allgemeine Bedeutung es behalte.«
»Ich fühle mich gar nicht intelligent. Es gibt so viele Dinge, die ich nicht verstehe.«
Sie nahm eine Zigarette heraus, und ich zündete sie für sie an. »Du mußt ein bißchen Geduld haben. Du erreichst in Tagen und Wochen, wozu normale Menschen ein halbes Leben brauchen. Das macht die Sache ja so wunderbar. Du bist jetzt wie ein riesiger Schwamm, der alles in sich aufsaugt. Tatsachen, Zahlen, Allgemeinwissen. Und bald wirst du beginnen, alles miteinander zu verbinden. Du wirst erkennen, wie die verschiedensten Wissensgebiete miteinander in BeZiehung stehen. Es gibt viele Ebenen, Charlie, wie die Sprossen auf einer riesigen Leiter, die dich immer höher und höher hinaufführt, um mehr und mehr von der Welt ringsherum zu sehen.
Ich kann nur ein ganz klein bißchen davon sehen, Charlie, und ich werde auch nicht höher hinauf kommen, als ich es jetzt bin. Aber du wirst immer weiterklettern und klettern, und mehr und mehr sehen, und jeder Schritt wird neue Welten vor dir öffnen, von denen du nie gewußt hast, daß sie überhaupt existierten.« Sie runzelte die Stirn. »Ich hoffe … ich hoffe nur zu Gott …«
»Was?«
»Ach, nichts, Charles. Ich hoffe nur, daß ich nicht falsch daran getan habe, dir zu raten, dich in diese Sache einzulassen.«
Ich lachte. »Wie könnte das sein? Es hat doch alles geklappt, nicht wahr? Sogar Algernon ist noch immer klug.«
Eine Weile saßen wir schweigend da, und ich wußte, worüber sie nachdachte, während sie mich beobachtete, wie ich mit der Kette mit meinem Hasenfuß und meinen Schlüsseln spielte. Ich wollte an diese Möglichkeit nicht mehr denken als alte Leute an den Tod. Ich wußte, daß dies nur der Anfang war. Ich wußte, was sie mit ver-schiedenen Stufen meinte, denn ich hatte einige schon gesehen und miterlebt. Der Gedanke, sie hinter mir zu lassen, stimmte mich traurig.
Ich liebe Miss Kinnian.
Tagesreport 12 30. April
Ich habe meine Arbeit bei Donnegans Fabrik für Plastikkisten aufgegeben. Mr. Donnegan bestand darauf, daß es für alle Beteiligten besser wäre, wenn ich ginge. Was habe ich getan, daß sie mich alle so hassen?
Ich erfuhr zum erstenmal davon, als Mr. Donnegan mir die Petition zeigte. Achthundertvierzig Namen standen darauf, alles Angestellte der Fabrik, außer dem von Fanny Girden. Ich warf einen kurzen Blick auf die Liste und stellte sofort fest, daß ihr Name als einziger fehlte. Alle anderen forderten, daß ich hinausgeworfen würde.
Joe Carp und Frank Reilly wollten mit mir nicht darüber sprechen. Niemand wollte mit mir darüber reden, außer Fanny. Sie war einer der wenigen Menschen, die ich kannte, der, wenn er einmal an etwas glaubte, auch dabei blieb, und was immer auch bewiesen wurde – Fanny glaubte nicht daran, daß ich hinausgeworfen werden sollte. Sie war aus Prinzip gegen die Petition, trotz des Drucks und der Drohungen, denen sie ausgesetzt war.
»Das soll aber nicht heißen«, bemerkte sie, »daß ich nicht finde, daß mit dir etwas höchst Sonderbares los ist, Charlie. Diese Veränderung! Ich weiß nicht. Du warst immer ein netter, verläßlicher, normaler Mann – vielleicht nicht sehr gescheit, aber dafür ehrlich. Wer weiß, was du dir angetan hast, daß du ganz plötzlich so gescheit bist. Das finden alle. Charlie, es ist nicht richtig.«
»Aber wie kannst du das sagen, Fanny? Was ist daran so schlimm, wenn jemand intelligent wird, Wissen erringen möchte und die Welt ringsum verstehen will?«
Sie starrte auf ihre Arbeit, und ich drehte mich um, um hinauszugehen. Ohne mich
Weitere Kostenlose Bücher