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16 Uhr 50 ab Paddington

16 Uhr 50 ab Paddington

Titel: 16 Uhr 50 ab Paddington Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Agatha Christie
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dachte eine Weile nach und sagte dann: «Wer war es denn Quimpers Ansicht nach – wenn es jemand war?»
    «Dazu wollte er sich nicht äußern», sagte Craddock. «Er macht sich einfach Sorgen. Schließlich geht es dort um eine ganze Menge Geld», fügte er noch hinzu.
    «Ja, ja, ich weiß, und sie bekommen es erst, wenn Luther Crackenthorpe stirbt. Und alle haben es bitter nötig. Schön und gut, aber daraus folgt noch nicht, dass sie den alten Mann umbringen würden, um an das Geld zu kommen.»
    «Nicht unbedingt», pflichtete Inspector Craddock ihm bei.
    «Ich verdächtige jedenfalls prinzipiell nichts und niemanden, solange ich es nicht begründen kann. Und zwar gut begründen», sagte er. «Ich muss sagen, was Sie da erzählen, erschüttert mich ein wenig. Offenbar geht es um Arsen im Großmaßstab – aber ich verstehe trotzdem nicht, warum Sie damit zu mir kommen. Ich kann Ihnen bloß sagen, ich habe das nie vermutet. Vielleicht hätte ich es tun sollen. Vielleicht hätte ich Luther Crackenthorpes Magenverstimmungen viel ernster nehmen müssen. Aber diese Frage ist für Sie ja nun unwichtig geworden.»
    Craddock stimmte zu. «Am dringendsten brauche ich mehr Hintergrund über die Familie Crackenthorpe», sagte er. «Gibt es dort abnorme geistige Veranlagungen – irgendwelche Schrullen?»
    Die Augen unter den buschigen Brauen musterten ihn scharf. «Ja, ich verstehe, dass Sie Vermutungen in diese Richtung anstellen. Also, der alte Josiah war absolut zurechnungsfähig. Zäh wie Leder, stand mit beiden Beinen auf dem Boden. Seine Frau war eine Neurotikerin und neigte zur Melancholie. Ihre Familie war durch Inzucht degeneriert. Sie starb kurz nach der Geburt des zweiten Sohnes. Ich würde sagen, Luther hat – wie soll ich sagen – eine gewisse Instabilität von ihr geerbt. Als junger Mann war er ganz normal, lag sich nur ständig mit seinem Vater in den Haaren. Der Vater war von ihm enttäuscht, das hat Luther ihm wohl übel genommen und ist ins Brüten gekommen. Am Ende hat sich das zu einem richtigen Spleen ausgewachsen, und den hat er auf sein Familienleben übertragen. Wenn Sie sich mit ihm unterhalten, werden sie merken, dass er all seine Söhne von Herzen verabscheut. Seinen Töchtern war er immer sehr zugetan. Sowohl Emma als auch Edie – das ist die, die gestorben ist.»
    «Warum verabscheut er seine Söhne so?», fragte Craddock.
    «Die Frage kann Ihnen wohl nur einer von diesen neumodischen Psychiatern beantworten. Ich vermute, Luther kam sich als Mann immer minderwertig vor und ist wegen seiner finanziellen Lage völlig verbittert. Er hat Zinseinkünfte, aber keine Verfügungsgewalt über das Kapital. Wenn er seine Söhne enterben könnte, wären sie ihm wahrscheinlich nicht so zuwider. Weil er in dieser Hinsicht machtlos ist, fühlt er sich gedemütigt.»
    «Und deswegen ist er so erpicht darauf, sie alle zu überleben?», fragte Inspector Craddock.
    «Gut möglich. Ich glaube, das ist auch der Grund seiner Knausrigkeit. Ich könnte mir denken, dass er von seinen großen Zinseinkünften ein gut Teil auf die Seite gelegt hat – das meiste natürlich, bevor die Besteuerung ihre heutige Schwindel erregende Höhe erreicht hatte.»
    Inspector Craddock kam eine neue Idee. «Er wird seine Ersparnisse doch testamentarisch jemandem vermacht haben, oder? Das kann er doch machen.»
    «Aber ja – nur wem, das wissen die Götter. Emma vielleicht, aber das kann ich mir eigentlich nicht denken. Sie bekommt ja ihren Anteil aus dem Besitz des alten Josiah. Alexander vielleicht, seinem Enkel.»
    «Den mag er, nicht wahr?», fragte Craddock.
    «Früher auf jeden Fall. Er ist ja auch der Sohn einer Tochter, nicht eines Sohnes. Das könnte für ihn entscheidend sein. Und Bryan Eastley, Edies Mann, den mochte er auch. Ich kenne Bryan nicht besonders gut, und es ist einige Jahre her, seit ich überhaupt Mitglieder der Familie gesehen habe, aber nach dem Krieg hatte ich den Eindruck, dass Bryan nichts mit sich anzufangen wusste. Er hat alle Eigenschaften, die man in Kriegszeiten braucht; Mut, Elan und diese Einstellung ‹Nach mir die Sintflut›. Nur die Beständigkeit geht ihm ab. Ihn hält es nirgends lange.»
    «Würden Sie sagen, dass in der jüngeren Generation Schrullen aufgetaucht sind?»
    «Cedric ist ein Exzentriker, der geborene Rebell. Er ist vielleicht nicht ganz normal, aber wer ist das schon? Harold ist ziemlich engstirnig, kein besonders angenehmer Zeitgenosse, herzlos und immer auf den eigenen Vorteil

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