160 - Die Schrecken von Kabuul
fallen musste. Bin Paali zog die Säbel blank und drückte sich neben die Türscharniere an die Wand. Es klopfte.
»Kommt rein!«, rief Aruula. »Die Tür ist nicht abgeschlossen!«
»Ein Fehler.« Ein Mann stieß die Tür auf und trat ein. »Sie suchen nämlich in ganz Kabuul nach dir.« Die anderen beiden Säbelträger folgten ihm. »Verdammt warm draußen. Föhn. Und Regen statt Schnee. Wer ist das?« Der Blick des zuerst eingetretenen Mannes war auf Gebra gefallen.
»Ein Schützling des Medikus«, sagte Aruula, während Gebra die Männer verächtlich musterte. Die freuten sich verständlicherweise nicht darüber.
»Bin Theodor ist tot«, sagte der Mann. »Was interessieren uns seine Schützlinge? Wir brauchen keine Mitwisser!« Sein lodernder Blick heftete sich an Aruulas Gesicht. »Streng genommen brauchen wir nicht einmal dich. Wir brauchen nur die vier Kisten mit dem Zeug.«
»Bin Theodor ist tot?« Aruula stellte sich dumm. »Wozu dann aber noch den Stoff in die Berge schaffen?«
»Auf eigene Rechnung, du naives kleines Vögelchen.« Der Kerl grinste dreckig und zog einen kurzen Säbel. »Wo haben wir denn die Kisten versteckt?« Das war der Augenblick, in dem Kara Bin Paali dem zuletzt eingetretenen Mann seinen Säbel über den Schädel zog; mit der flachen Seite, wie vereinbart. Der so Getroffene stürzte wie ein gefällter Baum.
Die andern beiden fuhren herum. Aruula schlug dem zuerst Eingetretenen die flache Schwertklinge ins Genick. Im Fallen drehte er sich und sah sie ungläubig an. Der letzte Mann der Eskorte behauptete, sowieso nur gekommen zu sein, um ihnen seine Partnerschaft anzubieten.
Sie verzichteten darauf und zwangen ihn einen Liter Tee aus zwei SAK- Würfeln zu trinken. Danach zogen sie dem Lallenden und den beiden Bewusstlosen die Kleider aus und fesselten sie. Statt der Kisten wurden nun die Männer unter den Bodendielen eingelagert. Danach verteilten sie die Kisten auf den Kamshaa-Bullen und die drei Mauler, auf denen die Eskorte gekommen war. Gebra und Kara Bin Paali hüllten sich in die Kleider der Besiegten und stiegen in die Sättel ihrer Mauler. Aruula auf Rapushnik übernahm die Spitze. Als im Westen die Venus aufging, ritten sie aus der Stadt. Kein Kontrollposten hielt sie auf…
***
Der Regen hatte aufgehört. Ein warmer Wind fiel von den Bergen im Osten in den Talkessel hinein. Al'Steiner hatte tagsüber in einer Ruine Unterschlupf gefunden. Kurz vor Einbruch der Dunkelheit stieg er auf den gestohlenen Mauler und ritt auf die Gassen hinaus.
Dumpf war ihm bewusst, dass er an diesem Tag seine Arbeit versäumt hatte. Er war außerstande, die Zahl der Winter anzugeben, die vergangen waren, seit er zum ersten Mal vormittags im Steinbruch des Generals Steine geklopft und abends die Stiefel der WEER geputzt hatte. Es waren viele Winter, sehr viele; sein halbes Leben. Oder sein ganzes?
Seitdem, da war er sicher, hatte es keinen Vormittag ohne Steine in seinem Leben gegeben, und keinen Abend ohne die Stiefel der WEER.
Und nun erschien diese fremde Schöne in dieser Stadt, in seinem Leben, und brachte alles durcheinander. Al'Steiner war glücklich.
Eine Zeitlang ritt er ziellos durch die Gassen in der Nähe jener Anhöhe, bei der er am Morgen zum letzten Mal den Hufschlag ihres Kamshaas gehört hatte. Immer wieder hielt er den Mauler an und lauschte. Er stahl eine gebratene Taube von einem Fensterbrett und tauschte einen SAK-Würfel gegen ein paar Früchte und zwei Schläuche Wasser. Und ständig lauschte er.
Die Nacht brach an und die ersten Sterne funkelten am Himmel über Kabuul, als er den Hufschlag eines Kamshaas hörte. »Ja, o ja…« Die Zügel in seinen zitternden Händen, trieb er sein Reittier über die Gasse und in die nächste Einmündung. Der Hufschlag entfernte sich. Er lenkte den Mauler zurück in die Richtung, aus der er gekommen war. Der Hufschlag wurde lauter. Er ritt bis zu der Ruine am Schutthügel, wo er den Tag verbracht hatte. Der Hufschlag rückte immer näher. Er pulte einen Klumpen SAK aus dem Ohr des Maulers und steckte ihn in den Mund. Sein Herz klopfte mächtig; er glaubte, es würde ihm jeden Moment zerplatzen.
Kauend blickte er sich um. Kaum Menschen auf den Gassen.
Die meisten hockten in ihren Hütten und arbeiteten für den Lebensunterhalt ihres nächsten Tages. Sein Leben konnte nur noch eines erhalten: Sie zu sehen, die Schöne in dem weißen Mantel.
Und dann sah er sie. Ihr Kamshaa trug sie aus einer breiten Gasse und bog in die ein, an
Weitere Kostenlose Bücher