160 - Die Schrecken von Kabuul
war ähnlich zerknittert wie ihr speckiges Lederzeug, und auf einmal sah sie grimmig und furchterregend aus, wie ein Dämon aus Orguudoos finstersten Tiefen.
»Ein Nichts bist du, eine Spielpuppe gräulicher Mächte, dem Tode so nah wie ein Laubblatt vor dem Winter, wenn es bereits modert, und kein Vogel kräht nach ihm, und die Würmer freuen sich, und Wudan, seine Boten und ich, wir sagen: Recht so!«
Ihre Augen waren von einem klaren Grün. Gütige Augen waren es, bei aller Strenge, die jetzt in ihnen loderte. Aruula hatte das Gefühl, diese uralten Augen würden bis auf den Grund ihres Herzens blicken. Sie fiel aus dem Sattel, lag bäuchlings vor der Greisin im Sand und weinte.
»Aruula von den Dreizehn Inseln ist tot«, sagte Wudans Auge. »Wer aber bist du?«
Aruula wand sich in Weinkrämpfen. Aruula von den Dreizehn Inseln, wollte sie sagen, brachte es aber nicht über die Lippen.
»Wer bist du?« Die Greisin bohrte hartnäckig. Sie streckte den Arm nach Aruula aus und forderte: »Sag mir, wie du heißt!«
»Aruula!«, schrie Aruula, »Aruula von den Dreizehn Inseln…«
Die Greisin zog ihren roten Ledermantel aus und warf ihn über den zitternden Körper der so viel Jüngeren. Aruula hörte auf zu weinen. »Sieh mich an.« Aruula hob den Kopf und ging in die Knie. Kraft und Wärme gingen von dem alten Mantel um ihre Schultern aus. Wie oft hatte sie schon von dieser Situation geträumt? Wie oft hatte sie genau diese Situation schon erlebt?
»So ist es gut.« Die Greisin fasste ihr Kinn und hob es hoch.
»Was für eine edle Frau, diese Aruula«, krächzte sie. Die knorrigen Finger ihrer Rechten fuhren über Aruulas Wangen und Haar. »Augen wie Vulkanseen, Haut wie Bronze, Haar wie ein schwarzer Wakuda-Stier… was für eine edle Kriegerin!«
Sie fasste Aruulas Handgelenke und zog sie hoch. »Aruula von den Dreizehn Inseln?« Aruula nickte. Die Greisin legte ihre Rechte auf Aruulas Kopf und blickte ihr tief in die Augen.
»Aruula, die ich segnete, als sie sechzehn Winter zählte?«
Aruula nickte. »Aruula, die lauschen kann?«
»Ja!« Die Tränen schossen Aruula wieder aus den Augen.
Von der Hand der Alten strömte eine warme Woge in ihren Kopf hinein und breitete sich in ihrem Körper aus. »Ja, ich bin es, ich bin es, ich will es wieder sein…« Ihr Herz raste, ihr Kopf glühte vor Hitze. »Ich will wieder Aruula sein …«
»Dann geh und sei es«, murmelte die Greisin. Sie zog ihren Ledermantel von Aruulas Schultern; er knarrte wie ein Baum, der sich im Wind bog. Sie schlüpfte in ihren Mantel und legte nun beide Hände auf Aruulas Kopf. »So spricht Wudan: Weg mit dem Gift, Aruula von den Dreizehn Inseln! Werde wieder, die du bist, und fürchte dich nicht! Ich an deiner Seite, und Orguudoos finsteres Trachten wird dir nicht schaden. Tausende wird dein Schwert fressen. Und nun kehre um, gehe nach Kabuul und tue, was eine Gesegnete Wudans tun würde. Danach magst du weiter dem brennenden Felsen entgegen ziehen…«
***
Donnergrollen weckte sie. Sie glaubte, es wäre mitten in der Nacht, so dunkel war es. Fern im Süden zuckten Blitze in einem schwarzen Himmel. Jenseits des Felsplateaus, das sich vor ihrer Höhle ausbreitete, war der Himmel aufgerissen. Wie ein schwarzer Mund, der sich über strahlend weißen Zähnen öffnete, sah er aus. Unter den glitzernden Zähnen ragte ein weißer Turm in den Himmel.
Aruula erinnerte sich, noch das Mittagslicht gesehen zu haben, und begriff, dass es höchstens früher Abend sein konnte, vielleicht sogar erst Nachmittag. Es war warm, so warm, dass sie schwitzte unter dem Yaakuli-Fell. Sie streifte den Mantel ab, fasste ihr Schwert und stand auf. Es waren die letzten Wochen des Winters, und in dieser Gegend hätte Schnee statt Regen fallen müssen. Woher diese Wärme? Hing es mit den Explosionen am Kratersee zusammen? Maddrax hätte es vielleicht gewusst. Sie nicht.
Aus ihrem Mantel zog sie die beiden SAK -Riegel, die sie aus der letzten Kiste gerettet hatte. Die Gier brannte in ihren Gliedern, doch etwas Stärkeres in ihr widerstand der Versuchung, sich einen Würfel abzubrechen und in den Mund zu stecken. Aruula stieg den Geröllhang vor ihrer Höhle herunter. Kamshaa-Bulle und Yaakuli-Mantel ließ sie zurück.
Bei Wudan, welch warmer Wind fiel da von den Bergen des Nordens herab! Der Nieselregen auf ihrer Haut fühlte sich warm an und hinterließ schmutzige Flecken. Sie wischte sie ab und erschrak, als sie die dunkelblauen Linien auf ihrer nackten
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