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160 - Die Schrecken von Kabuul

160 - Die Schrecken von Kabuul

Titel: 160 - Die Schrecken von Kabuul Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jo Zybell
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sie es schließlich, stieg vom Kamshaa und kroch auf allen Vieren bis an den Rand des Abgrunds.
    Mehr als einen halben Speerwurf unter ihr schaukelte eine Kiste im Felskessel, tauchte unter, tauchte wieder auf, tauchte wieder unter. Am Rand des Kessels sah sie für einen Augenblick die Beine eines Maulers aus der Gischt auftauchen, bevor die Strömung den dunklen Körper Richtung Tal riss.
    Sie zitterte am ganzen Körper, während sie zurück zu den Tieren kroch. Der kurze Weg hinauf in den Sattel geriet zur Tortur. Kaum konnte sie sich im Sattel halten, als Rapushnik sie in den Berghang hineintrug. Es nieselte, irgendwo zwischen den nördlichen Schneegipfeln tobte ein Gewitter. Am Abend fand sie Unterschlupf in einer Höhle. Es gelang ihr, ein Feuer zu entzünden. Sie trocknete ihren Mantel und schlief sich aus.
    Und kaute SAK.
    Erst am frühen Abend des nächsten Tages hatte sie den Schrecken so weit überwunden, dass sie weiter reiten konnte.
    Später konnte sie sich nicht mehr erinnern, wie sie zum Saroovby-Pass gekommen war. Jedenfalls sah sie das Lager der Karawane plötzlich einen Speerwurf weit unter sich liegen.
    Morgendunst lag über den Zelten und den Kamshaas.
    Aruula lenkte Rapushnik hangabwärts. Der Mauler mit den beiden Kisten trottete brav hinter ihr her. Während die Zelte und Kamshaas näher rückten, fielen ihr die Risse in den Zeltplanen auf. Und warum schliefen die Wachen, warum schliefen so viele im Freien? Und lagen die Kamshaas nicht seltsam verkrümmt unter den Bäumen und neben den Büschen, wo man sie festgemacht hatte?
    Aruula fand keinen einzigen Überlebenden. Die auffallend wenigen Leichen waren grausam verstümmelt, die Reittiere regelrecht ausgeweidet. Blutige Schleifspuren zeugten davon, dass die Räuber, die hier gewütet hatten, viele ihrer Opfer mitgenommen hatten.
    In einem der Zelte, zwischen zwei blutigen Felllagern, stieß sie auf eine Kiste. Die stand offen und war bis an den Rand mit kleinen Goldbarren gefüllt. Aruula rannte schreiend aus dem Zelt. Das Entsetzen trieb ihr Eiszapfen unter die Haut. Auf Rapushniks Rücken floh sie den Berghang hinauf. Der Mauler mit den beiden SAK -Kisten blieb zurück. Friedlich weidete er zwischen Leichen und Kadavern.
    ***
    Wie von selbst lenkten seine Fersen und Hände das Reittier über verschlungene Geheimwege. Wie viele Winter war es her, dass er Soldaten der WEER auf diesen Pfaden gegen Feinde in den Bergen geführt hatte? Al'Steiner wusste es nicht mehr. Er wusste ja kaum noch, dass er einst dazu gehört hatte, zu diesem schwarz-rot-gelben Orden jener ernsten und machtbewussten Männer und Frauen.
    Er wollte sie überholen, seine Schöne, wollte wie zufällig am Wegrand sitzen, wenn sie vorbei ritt, wollte ihre erstaunten Blicke mit einem hingeworfenen Handkuss erwidern. Sie würde lächeln, da war er sicher. Und was konnte er sich Göttlicheres wünschen als ein Lächeln seiner Angebeteten?
    Als er nördlich der Talsenke das Flussufer erreichte, ritt er tausend Schritte vor dem Wasserfall über die alte Hängebrücke. Danach trieb er seinen Mauler flussabwärts dem Fall entgegen.
    Eine Ahnung, die ihm aus den Erinnerungsresten seines ersten Lebens aufstieg, sagte ihm, dass die Räuberhorden gern den Weg unter dem Wasserfall hindurch wählten.
    Er machte den Mauler an einem Baum fest und kletterte auf einen Felsbrocken neben dem Abgrund. Das Tosen und Rauschen der Wassermassen erfüllte die Luft. Es hatte aufgehört zu regnen. Und täuschte er sich, oder war es ein wenig kälter geworden? Auf dem Felsklotz kniend, spähte er in die Tiefe. Und da lag sie – sein Herz machte einen Sprung! – da lag seine Schöne vierzig Schritte unter ihm auf dem steinigen Boden vor dem Abgrund und blickte in den brodelnden Felskessel hinunter, wo die Naturgewalten mit einer Kiste und einem Mauler spielten. »Da, da…!« Er hob die Rechte und winkte. »Frau; Frau, ja …!«
    Er blickte hinüber ans andere Ufer – und hielt den Atem an: Dort prügelten WEER-Männer auf einen am Boden liegenden Mann ein. Andere zerrten eine Frau aus dem Maulersattel, deren rechte Hand fehlte. Sie wehrte sich und verlor im Handgemenge ihren Mantel und ihre Tücher. Er hörte sie nicht schreien, denn viel zu laut toste der Wasserfall, doch er sah für einen Augenblick ihr Gesicht so deutlich, dass eine böse Erinnerung aufblitzte: Ganz kurz nur sah er sie im Hochzeitsgewand durch den Versammlungsraum an der Tafel entlang schreiten, ganz kurz nur die listige Miene

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