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160 - Die Schrecken von Kabuul

160 - Die Schrecken von Kabuul

Titel: 160 - Die Schrecken von Kabuul Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jo Zybell
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Haut sah: Wie neu aufgetragen kamen sie ihr vor.
    Dann erinnerte sie sich daran, sie erst vor wenigen Wochen erneuert zu haben, in der Kruste der Schimären. [1]
    Sie sahen frisch aus wie am ersten Tag. Jenem Tag vor fast vierzehn Wintern, als sie der uralten Göttersprecherin in dem roten Leder begegnet war, die ihr damals den Körper bemalte; als Zeichen der Erwählung durch Wudan.
    Ein paar Schritte vor dem Abgrund ging Aruula in die Knie und robbte auf allen Vieren bis an die Kante der Steilwand. Die beiden in Silberpapier verpackten SAK -Riegel ließ sie neben sich fallen. Fast am Rand der Steilwand verharrte sie und blickte in den Talkessel hinab. Da lag sie, die Ruinenstadt: Gassen wie blasse Striche, Dächer wie rissige Baumrinde, und im Zentrum die Kuppel und der weiße Turm. Blitze zuckten in der Ferne aus dem schwarzen Himmel, Donner grollte.
    Aruula packte den ersten Riegel, holte aus und schleuderte ihn über den Abhang. Ihre Rechte war plötzlich schwer wie Blei, Schweiß brach ihr aus und ihre Zunge schien zu schwellen. Dennoch griff sie auch nach dem zweiten Riegel.
    Sie schrie, während sie ausholte und ihn über die Felskante warf.
    Vorbei. Nie wieder würde sie dieses Zeug anrühren! Nie wieder!
    Sie kroch ein paar Schritte zurück, ging dann erst in die Knie und stand schließlich auf. Durch den Regen stelzte sie zur Höhle zurück. Weitere Blitze zuckten über den fahlen Himmel, und die Gier klopfte unter ihrer Zunge. Der Frau von den Dreizehn Inseln war angst und bange.
    Zurück in der Höhle, kauerte sie sich an den warmen Körper des Kamshaa-Bullen. Zwei, drei Stunden lang geschah weiter nichts, als dass das Verlangen immer heftiger loderte. Sie spürte es unter der Zunge, hinter dem Brustbein und in den Schläfen. Aruula kniete neben Rapushnik, legte den Oberkörper über ihre nackten Schenkel und begann ziellos zu lauschen; einfach so, nur um sich abzulenken. Schleim triefte ihr aus den Mundwinkeln, ihre Augen begannen zu tränen, kalter Schweiß stand auf ihrer Stirn.
    »Ich glaub, ich schaffs nicht«, stöhnte sie. »Ich brauch das Zeug…« Sie stand auf, wankte zum Höhleneingang, wo ihr Mantel lag, und durchsuchte die Taschen. Nein, sie hatte keinen Würfel vergessen, nicht einmal einen Krümel SAK fand sie. Sie blickte hinaus – es regnete, dichte Wolken verhüllten den Talkessel. »Wir könnten versuchen hinunterzuklettern, vielleicht finden wir die Riegel irgendwo in der Wand. Was meinst du, Pushnik?« Sie drehte sich nach dem Kamshaa-Bullen um, doch der blinzelte nur träge aus dem Halbdunkel der Höhle.
    Aruula schlüpfte in ihren Mantel, denn sie fror plötzlich. Sie ging zurück zu ihrem Reittier und stutzte, denn statt eines Kamshaas glotzte eine riesige Taratze sie an. Doch die Sinnestäuschung währte nur einen Atemzug lang, dann lag da wieder Rapushnik auf dem Höhlenboden.
    Ihre Knie waren heiß und weich, sie setzte sich.
    Schweißnass war sie inzwischen, und sie zitterte am ganzen Körper. Der Kamshaa-Bulle äugte leise grunzend zu ihr herüber. Aruula begann mit dem Oberkörper hin und her zu schaukeln.
    »Wudan, hilf mir«, murmelte sie. »Wudan, steh mir bei.«
    Schaumiger Schleim tropfte ihr aus dem Mund auf den Mantel.
    Ihre Zunge war trocken, ihre Augen brannten. Sie zerrte den Wasserschlauch aus ihrem Deckenbündel und trank. Danach schaukelte sie weiter und sprach murmelnd mit Wudan, Wudans Auge und Maddrax; die ganze Nacht lang.
    Gegen Morgen war der Wasserschlauch leer. Aruula stand auf, ging vor die Höhle und kniete vor einer Felskuhle, in der sich Regenwasser gesammelt hatte. Sie beugte sich darüber – und zuckte vor ihrem eigenen Spiegelbild zurück. Wie der fleischgewordene Tod sah sie aus: blaue Lippen, schmutziggraue Haut, große flackernde Augen und schaumigen Speichel in den Mundwinkeln. Tiefer beugte sie sich über das Wasser, bis ihre trockenen Lippen es berührten, dann trank sie.
    Es schmeckte bitter und metallen.
    Zurück in der Höhle fing sie an zu schreien – drei oder vier Taratzen hockten dort, wo eben noch das Kamshaa gelegen hatte. »Wo ist das SAK?!« Mit bloßen Fäusten ging sie auf die Bestien los. »Eine ganze Kiste davon habe ich euch überlassen. Wo ist sie?«
    Sie bearbeitete einen pelzigen Körper mit ihren Fäusten und merkte plötzlich, dass es Rapushnik war, auf dessen Flanke sie einschlug. Heulend drückte sie ihr nasses Gesicht in sein Fell und wischte Rotz, Schaum und Tränen an ihm ab. Der Kamshaa-Bulle blökte und stieß

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