160 - Martin, Deborah - Die amerikanische Braut
hatte. Dorothea lebt meines Wissens jetzt in Italien. Ich habe sie seit Jahren nicht mehr gesehen.“
„Ist das der Grund, weshalb weder du noch dein Bruder sie jemals erwähnt hat, während ihr alles über mich und meine Familie herausgefunden habt?“
Er warf ihr einen kalten Blick zu. „Dora und ich haben uns nicht mehr verstanden, seit sie sich von meinem Vater entfremdet hatte. Ich vermeide es, über sie zu reden.“
„Oh.“ Kein Wunder, dass er meinte, Frauen, die von ihren Männern getrennt lebten, seien nicht ungewöhnlich.
„Sie und Nat verstanden sich gut, und er erwähnt sie noch manchmal. Aber in Amerika war er wahrscheinlich zu sehr damit beschäftigt, dir Sand in die Augen zu streuen, als dass er noch Zeit gehabt hätte, dich in die Familiengeheimnisse einzuweihen.“ Spencers Worte klangen leichtfertig, doch in seiner Stimme schwang Schmerz mit. Der Verrat seines Bruders musste ihn mehr verletzt haben, als er zugeben wollte. „Womit wir wieder beim Thema wären … ich muss gehen. Ich treffe mich mit meinem Anwalt und werde mit ihm die ganze Angelegenheit besprechen und natürlich der Schneiderin Bescheid geben und mich nach einer Zofe für dich umhören …“
„Mrs. Graham macht ihre Arbeit sehr gut. Es ist nicht nötig, eine Zofe einzustellen, nur um sie nach meiner Abreise wieder zu entlassen.“
„Ich werde dafür sorgen, dass das Mädchen nicht mittellos dasteht, wenn ich sie entlasse“, versicherte er Abby. Es belustigte ihn, dass sie sich Sorgen um ein Dienstmädchen machte. „Auch wenn Mrs. Graham eine passende Gesellschafterin für dich ist, brauchst du dennoch eine richtige Zofe, die sich um dich kümmert. Und jetzt entschuldige mich bitte. Ich werde veranlassen, dass sofort jemand eingestellt wird.“
Er verbeugte sich höflich vor ihr und ging dann mit langen, sicheren Schritten zum Haus, während der Morgenwind ihm das kastanienbraune Haar zerzauste.
Abby blieb zurück, noch ganz benommen von den Ereignissen. Es ging alles so schnell! Aus heiterem Himmel wurde ihr eine komplette neue Garderobe beschert, eine Zofe und ein vorgeblicher Ehemann, der allem Anschein nach glaubte, dass er ihre Rolle als seine Frau bis ins kleinste Detail planen musste. Kein Wunder, dass er nie geheiratet hatte – welche Frau würde jemals den hohen Ansprüchen genügen können, die er zu stellen schien?
Sie konnte es ihm nicht verdenken, dass er solche Ansprüche hatte – immerhin war er ein vermögender Viscount. Doch es ärgerte sie, dass er glaubte, erst eine Menge Geld in sie investieren zu müssen, um sie auch nur annähernd vorzeigbar zu machen.
Aber sollte er doch sein Geld an sie verschwenden! Hatte er ihr denn eine andere Wahl gelassen? Wenn er meinte, sie neu einkleiden, sie ausführen und bei seinen Freunden vorzeigen zu müssen, dann wollte sie ihn nicht davon abhalten.
War die ganze Angelegenheit erst einmal ausgestanden, würde sie sich glücklich schätzen, dass die Ehe letztlich nie eine gewesen war. Denn Lord Ravenswood schien viel zu abgehoben, um mit einer einfachen Amerikanerin wie ihr zusammenzuleben. Mit ihm verheiratet zu sein würde bedeuten, ständig befürchten zu müssen, in der Öffentlichkeit das Falsche zu sagen oder zu tun. Ein solches Leben wäre unerträglich.
Nur dann nicht, wenn er sie küsste. Aber daran wollte sie nicht mehr denken! Denn hinter der Sehnsucht sah sie bereits Ablehnung und Kummer auf sich lauern, und davon hatte sie auf dieser Reise bislang schon genug gehabt.
6. KAPITEL
Klatsch ist ein Laster. Der umsichtige Diener meidet ihn, es sei denn, er kann seinem Herrn damit zu Diensten sein.
Empfehlungen für den unerschütterlichen Diener
Spencer saß in seinem Salon und trommelte ungeduldig mit den Fingern auf die geschwungene Sofalehne, während er Lady Brumley beobachtete, die emsig in ihr kleines Notizbuch schrieb. Musste sie denn jedes einzelne Wort notieren?
Als sie kurz zu ihm aufblickte, hörte er mit dem Trommeln auf und zwang sich zu einem Lächeln. Die Klatschkolumnistin hatte das Gespür eines Haifischs: Sobald sie Blut roch, würde sie sich auf ihn stürzen. Sie steckte ihre Nase ohnehin schon viel zu tief in seine Angelegenheiten. Dass er sich in Amerika Hals über Kopf verliebt hatte, schien sie zwar zu glauben, aber an seiner Geschichte über Nat zweifelte sie nach wie vor.
Spencer schaute auf die Uhr – ihm blieben nur noch wenige Minuten, Lady Brumley zu überzeugen. Er wollte mit Abby rechtzeitig seine Loge
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