160 - Martin, Deborah - Die amerikanische Braut
im Theater erreichen, bevor alle anderen Besucher eintrafen. Wenn sie nämlich später kämen, müssten sie sich ihren Weg durch die Menge und viele neugierige Fragen bahnen.
Lady Brumley klopfte mit ihrem Bleistift auf das Notizbuch. „Lassen Sie mich überprüfen, ob ich alles richtig verstanden habe. Sie sagen, dass Ihr Bruder gestern Abend während des Zwischenfalls mit dem Taschendieb verwundet wurde. Und dass er sich nun auf Ihrem Landsitz in Essex erholt.“
„Ganz genau.“
Sie musterte ihn kühl. „Sie müssen außer sich vor Sorge sein.“
„Das bin ich auch.“
„Aber trotzdem amüsieren Sie sich hier in London mit Ihrer Frau, während er auf dem Lande leidet.“
„Wie Sie wissen, habe ich hier meine Verpflichtungen. Würde ich Nats Verletzung für lebensbedrohlich halten, wäre ich natürlich bei ihm. Aber der Arzt versicherte mir, dass kein Grund zur Sorge besteht.“
„Kann ich mit diesem Arzt sprechen?“
„Natürlich. Sie kennen doch unseren Hausarzt, Dr. Godfrey.“ Spencer unterdrückte ein spöttisches Lächeln. Lady Brumley würde schon merken, dass er seine Geschichte in alle Richtungen gegen ihre neugierigen Fragen abgesichert hatte. Nicht umsonst war er einmal Spionagechef gewesen.
Er hatte eigentlich nichts gegen Lady Brumley. Leute wie sie konnten ihm nützlich sein – aber nur, wenn sie in seinem Interesse handelten.
„Lady Evelina ist vermutlich bei Ihrem Bruder in Sussex?“ hakte sie nach.
„Nein, davon habe ich ihr abgeraten. Ihre Anwesenheit würde nur dazu führen, dass er sich nicht richtig auskuriert. Und das wollen Sie doch sicher auch nicht, oder? Außerdem ist Evelina mit den Vorbereitungen für die Hochzeit sehr beschäftigt. Sie kann ihre Zeit nicht auf dem Land vertrödeln.“
„Nun, wenn die Wunde so geringfügig ist, dass sogar seine Verlobte recht unbesorgt zu sein scheint, dann nehme ich an, dass Ihr Bruder in den nächsten Tagen wieder in London sein wird.“
Spencer deutete ein Lächeln an. „Oh, etwas länger kann es schon noch dauern.“ Er beglückwünschte sich zu seiner Idee mit der Wunde – die erst dann abgeheilt sein würde, wenn es in Spencers Plan passte. Bis dahin könnten noch unzählige Rückfälle eintreten … Spencer konnte nur hoffen, dass Nat sich nicht an den Spieltischen in Bath oder Brighton blicken ließ.
Er schaute wieder auf die Uhr und erhob sich mit einem entschuldigenden Lächeln. „Ich fürchte, wir werden unser Gespräch ein andermal fortsetzen müssen. Meine Frau und ich werden Lady Evelina und ihre Mutter heute Abend ins Theater begleiten. Ich dachte mir, dass es für die drei eine gute Gelegenheit wäre, sich nach den gestrigen Vorkommnissen endlich näher kennen zu lernen.“
„Dann, Mylord, will ich Sie nicht länger Ihrer bezaubernden Frau vorenthalten. Ich glaube, ich habe alle Informationen, die ich brauche.“ Sie stand auf und bedachte ihn mit einem schelmischen Lächeln. „Zumindest fürs Erste.“
Mit grimmiger Miene begleitete er sie aus dem Salon. Er würde ein wachsames Auge auf die Klatschkolumnistin haben müssen.
Wenn er nicht gut auf sie aufpasste, könnte sie ihm das Leben zur Hölle machen – und litt er nicht schon Höllenqualen?
Als er mit Lady Brumley am Fuß der Treppe stand, kam Abby gerade herunter. Bei ihrem Anblick wurde Spencer bewusst, dass ihm noch weitaus quälendere Versuchungen bevorstanden.
Ihr seidig schimmerndes, langes rabenschwarzes Haar war locker hochgesteckt. Er stellte sich vor, wie er mit einer einzigen ungestümen Handbewegung ihr Haar wieder herabfallen lassen würde. Und hatte dieses Kleid wirklich einmal seiner Stiefmutter gehört? Er konnte sich zumindest nicht erinnern, dass Dora darin jemals so umwerfend ausgesehen hatte. Aber es musste wohl ihr Kleid gewesen sein, denn das Oberteil war für eine zierlichere Frau bemessen und spannte sich über Abbys üppigeren Reizen.
„Guten Abend, Spencer“, sagte Abby zögernd. „Ich hoffe, dass ich richtig für einen Theaterbesuch angezogen bin.“
Spencer fluchte innerlich. Ihr Anblick hatte ihm tatsächlich die Sprache verschlagen.
Lady Brumley war zum Glück nie sprachlos. „Aber natürlich sind Sie richtig angezogen, Lady Ravenswood. Wenn einem Mann beim Anblick seiner Frau die Worte fehlen, kann man davon ausgehen, dass er an ihrer Aufmachung Gefallen findet.“
„Gefallen“ war nicht unbedingt das treffende Wort. Ihm gefiel die Vorstellung gar nicht, einen ganzen Abend voll des vergeblichen Verlangens
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