1601 - 10. Januar 1200
schwenkte er einen Knautschbeutel Wermut.
Joshu Ionson schloß die Tür hinter sich und blieb abwartend stehen, bis Joe die Strophe zu Ende gesungen hatte. „Was tust du hier?" fragte er ernst. „Siehst du das nicht?" lachte Joe Vermouth und drückte sich aus dem Beutel einen Schluck Wermut in den Mund. „Ich trinke und bin fröhlich."
„Während wir darauf warten, daß die nächste Reifenlieferung annähernd pünktlich hier eintrifft."
Joe Vermouth schob sich an der Wand in die Höhe. Er hatte kräftig getrunken, aber seine Sprache und seine Bewegungen waren noch einigermaßen normal. „Reifen, Schweifen", spottete er. „Wen kümmert das alles? Seit drei Wochen schufte ich hier. Ich verdiene jede Menge Geld, aber ich kann's nirgendwo ausgeben. Ich gehe nachts mit Magenschmerzen ins Bett und stehe am nächsten Morgen mit Kopfweh wieder auf. Je länger ich darüber nachdenke, desto klarer wird mir, daß das Leben, das ich früher geführt habe, meiner Mentalität zuträglicher war als das, was ich jetzt hier durchmache."
„Du spinnst", erklärte Joshu Ionson ohne auch nur den leisesten Anflug von Mitgefühl. „Gib mir den Beutel. Ich bringe dich ins Bett, du schläfst dich aus, und dann gehst du wieder an die Arbeit, wie sich's gehört."
„Du kannst's ja mal versuchen", lachte Joe Vermouth und nahm einen weiteren Schluck aus dem Knautschbeutel. „Warst du schon mal im Antigravlager?"
Joshu war von der unerwarteten Wendung der Konversation überrascht. „Nein. Warum?" fragte er. „Du solltest dir das mal ansehen." Der Wermut begann jetzt Wirkung zu zeigen. Joes Stimme wurde schwerer. „Eigen ... eigenartige Di... Dinge, die dort vorgehen."
Draußen auf dem Gang war das Läuten des Interkoms zu hören. Sekunden später erscholl Lep Wagners Stimme. „Warnung an alle!" hörte Joshu Ionson. „Das Fabrikgelände ist sofort zu evakuieren. Es besteht Gefahr, besonders in der unmittelbaren Umgebung des Gebäudeteils, in dem die alten Antigravtriebwerke gelagert sind. Ich wiederhole ..."
Joshu hörte nicht mehr hin. Er war auf Joe Vermouth zugeeilt und hatte ihm den Beutel aus der Hand gerissen. „Was ist dort los?" herrschte er den Halbbetrunkenen an. „Was hast du gesehen?"
„Was soll ich dir's lange erzählen?" lallte Joe. „Komm, wir gehn hin!"
Joshu führte ihn behutsam die Treppe hinunter. Draußen auf dem Hof war der Teufel los.
Jedermann hatte Lep Wagners Warnung gehört. Alle waren darauf bedacht, sich so rasch wie möglich in Sicherheit zu bringen. Das Antigravlager befand sich am westlichen Ende des Gebäudes, in dem Joshu Joe Vermouth gefunden hatte. Joe hielt zielstrebig auf eine Tür zu. „Warte hier", sagte er zu Joshu. „Ich geh erst mal vor."
Joshu wollte ihn zurückhalten. Aber für einen Betrunkenen entwickelte Joe Vermouth auf einmal erstaunliche Behendigkeit. Er stieß die Tür auf und war eine Sekunde später im finsteren Treppenhaus verschwunden. Joshu hörte eine Zeitlang noch das Geräusch seiner Schritte. Dann verstummte auch dieses.
Er blickte an der Mauer des Gebäudes in die Höhe. Lag es daran, daß er in der vergangenen Nacht schlecht geschlafen hatte, oder zitterte die Luft wirklich? Es war bitter kalt an diesem 31. Januar 1200.
Die Wärme konnte für das Flimmern nicht verantwortlich sein.
Aus den Lautsprechern, die überall an den Gebäuden angebracht waren, drang weiterhin Lep Wagners Stimme. „Warnung an alle ..."
Joshu Ionson sah, wie das Dach des Gebäudes verschwand. Einen halben Atemzug lang erinnerte er sich an die Bemerkung, die er am vergangenen Tag Lep Wagner gegenüber gemacht hatte: Wenn das Dach auf dem mittleren Fabrikgebäude plötzlich verschwunden wäre, dann wüßten sie wenigstens, wo sie die Schuld zu suchen hätten.
Dann packte ihn die Panik. Er warf sich herum und rannte davon. Hinter ihm knisterte und knirschte es. Er kam bis in die Mitte des Hofes. Plötzlich war ein kräftiger Wind aufgekommen, gegen den er sich mit aller Kraft stemmen mußte, um nicht den Halt zu verlieren. Er wandte sich um. Er blickte in die Richtung des Gebäudeteils, in dem sich das Lager der Antigravtriebwerke befand.
Das Gebäude war verschwunden! Wo es gestanden hatte, klaffte eine weite Lücke. Dahinter waren die Bauten des benachbarten Betriebs zu sehen. „Joe!" schrie Joshu Ionson.
Es kam keine Antwort. Joe Vermouth war mitsamt dem Gebäude verschwunden.
*
„Ich habe die Regierung informiert", erklärte Lep Wagner. „Ich habe mit Julian
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