1604 - Panoptikum des Schreckens
Fenster.
Purdy Prentiss hatte angehalten, weil sie sich einen ersten Eindruck verschaffen wollte.
Sie hatte beim ersten Hinschauen nichts Ungewöhnliches an diesem Haus finden können. Nach längerer Betrachtung kam es ihr zwar nicht unheimlich vor, aber ohne Grund hätte sie den Bau freiwillig nicht betreten.
Es hatte etwas, was seinem Namen gerecht wurde. Sie ging davon aus, dass es ein idealer Standort für ein Panoptikum des Schreckens war.
»Gefällt es Ihnen, Madam?«
»Muss es mir denn gefallen?«
Rudy kicherte. »Nein. Die Leute sagen nur, dass es auf den Inhalt ankommt.«
»Das mag ja sein, Rudy. Aber Leute sehe ich hier nicht.«
»Es liegt am Wetter.« Er nickte irgendwie bedeutungsschwer. »Das ist eben so. Bei dieser Kälte sind nicht viele Menschen unterwegs. Und wenn, dann haben sie keine Lust, in das Haus zu gehen. Sie können es sich ja noch immer überlegen. Aber wenn Sie drin sind, dann ist das so gut wie exklusiv.«
»Da hast du sicherlich recht.«
Er stieß sie an und fragte nach dieser kumpelhaften Bewegung. »Was ist? Packen wir’s?«
»Wenn du das sagst, ist es okay.«
»Dann los.« Rudy stapfte mit dem rechten Fuß in den Schnee und ging dorthin, wo die weiße Fläche durch zahlreiche Füße platt getreten worden war, sodass sich so etwas wie ein Weg gebildet hatte, der auf den Eingang zuführte. An dieser Seite gab es keinen Zaun, der einen Menschen daran gehindert hätte, auf das Haus zuzugehen.
Auf Purdy Prentiss machte es einen verlassenen Eindruck. Am Eingang ließ sich niemand blicken, und hinter den Fenstern sah sie ebenfalls keine Bewegung.
Purdy schaute zu Boden. Frische Fußabdrücke waren nicht zu sehen. Es konnte durchaus sein, dass sie die einzigen Besucher waren, die in der letzten Zeit gekommen waren.
Sie ließ zu, dass Rudy vorging. Er lief dabei schnell, als könnte er es kaum erwarten, das Haus zu betreten, und sie dachte auch daran, dass es möglicherweise eine Falle sein könnte, doch darüber wollte sie nicht näher nachdenken. Sie hatte einmal in den sauren Apfel gebissen und würde ihn auch essen.
Rudy hatte geklingelt. Das Summen war sogar bis zu Purdy zu hören.
Er öffnete die Tür noch nicht ganz. Er drückte sie nur spaltbreit auf, und so wartete er auf Purdy.
»Alles klar, Madam?«
»Ja.«
»Dann können wir?«
»Natürlich.«
Der Junge drückte die Tür auf, und Purdy schaute nicht in ein stockdunkles Haus hinein, sondern wurde von einem schummrigen Licht empfangen. Es kam ihr vor wie der Blick in eine andere Welt, und er war zudem verbunden mit einem Wärmeschwall.
Ihr stockte für einen Moment der Atem.
Größer konnten die Gegensätze nicht sein.
Nach dem ersten Schritt über die Schwelle war von einem Panoptikum des Schreckens noch nichts zu sehen. Vor ihnen lag ein Flur, und an der linken Seite, dicht hinter der Tür, befand sich so etwas wie eine Kasse.
Da gab es einen Tisch mit einem Stuhl, und auf dem Tisch stand eine Metallkassette.
Der Stuhl war nicht leer. Auf ihm saß eine Frau.
Purdy Prentiss spürte einen leichten Stich in der Magengegend, als sie die Frau sah.
Sie erinnerte sich daran, von Rudy einen Namen gehört zu haben, und der kam ihr jetzt wieder in den Sinn, als sie einen Blick auf die Person warf, die recht ungewöhnlich aussah.
Zuerst fielen bei ihr die roten Haare auf. Lang und glatt fielen sie zu beiden Seiten des Kopfes herab. Purdy konnte sich vorstellen, dass die Farbe nicht echt war. Deshalb wohl hatte sich Rudy so intensiv nach ihrer Haarfarbe erkundigt.
Es war nur der Oberkörper der Frau zu sehen. Der wurde von einem schwarzen ledernen Oberteil bedeckt, das wie eine Korsage geschnitten war.
Das recht starre Gesicht der Frau verzog sich zu einem Lächeln. Über die breiten Lippen strömten flüsternd die Begrüßungsworte: »Willkommen hier im Panoptikum.«
»Danke.«
Rudy meldete sich. »Das ist Myra. Ich habe Ihnen ja schon von ihr erzählt.«
»Stimmt.«
»Sie ist hier die Chefin.«
Der Blick der dunklen Augen richtete sich auf Purdy. »Der Junge übertreibt mal wieder.«
Purdy hob die Schultern. »In seinem Alter ist das normal.« Dann kam sie zur Sache. »Was habe ich zu zahlen?«
Myra hob den Blick. Die dunklen Augen schienen dabei noch schwärzer zu werden.
»Nichts.«
»Bitte?«
»Sie haben nichts zu zahlen«, wiederholte Myra. »Der Eintritt ist für Sie kostenlos.«
Das überraschte die Staatsanwältin. Sie schaute auf Rudy, der neben ihr stand und lächelte.
»Freuen Sie sich
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