1605 - Blutnacht - Liebesnacht
hatte ich alles liegen lassen.
In der vergangenen Nacht hatte mich Dagmar Hansens Anruf erreicht.
Der Klang ihrer Stimme echote noch jetzt in meinen Ohren. Nie zuvor hatte ich sie so fertig erlebt.
»Es ist möglich, dass Harry sterben wird.«
Die Stimme war so schwach gewesen, sie hatte aber zugleich so ehrlich geklungen, dass ich keine Nachfragen stellte und nur sagte: »Ich höre!«
Da hatte sich Dagmar Hansen schon stark zusammenreißen müssen, um mir einen Bericht zu geben. Sie hatte versucht, alle Emotionen auszuschalten, was ihr sogar einigermaßen gelungen war. Dass es bei dem Fall um einen Blutsauger gegangen war, das hatte ich als nebensächlich eingestuft. Wichtiger war für mich Harry Stahl und natürlich dessen Zustand.
»Gut, lassen wir das andere mal außen vor. Wie geht es Harry genau?«
»Schlecht. Er liegt im Koma.«
»Und weiter?«
»Man muss abwarten, haben die Ärzte gesagt. Es liegt einzig und allein an Harry und an seiner Konstitution. Ich kann nur beten, dass er sich erholt und keine Schäden zurückbleiben. Mehr kann ich dir zu seinem Zustand nicht sagen. Aber ich will nicht, dass dieser Blutsauger davonkommt. Verstehst du das?«
»Natürlich.«
»Und deshalb möchte ich dich um Hilfe bitten. Ich komme mir hier ziemlich allein vor, John und…«
»Keine Frage. Ich komme.«
Nun ja, und jetzt war ich in Köln gelandet. Ich hatte noch einiges erfahren. Wir würden nicht in dieser Stadt bleiben, sondern aufs Land fahren. Nach Westen in die Eif el, also in Richtung belgischer Grenze.
Das lag noch vor mir. Wichtig war, dass Harry aus seinem Zustand erwachte und er wieder gesund wurde. In der Zwischenzeit würden Dagmar und ich einen Vampir jagen, der sich Darius nannte. Mehr wusste ich nicht über ihn. Ich hatte den Namen zuvor auch nie gehört und wusste deshalb nicht, welchen Ursprung er hatte.
Die Maschine rollte aus. Der Nachbar neben mir hatte schon sein Handy hervorgeholt. Er konnte es kaum erwarten, jemanden anzurufen.
Schlimm, diese Menschen, die immer unter gewaltigem Druck zu stehen schienen.
Der Flieger rollte aus. Ich stieg mal wieder als Letzter ins Freie. Zuvor hatte ich mir vom Piloten meine Waffe zurückgeben lassen. Der Mann lächelte mich an, weil er sich an mich erinnerte, denn ich war schon mal mit ihm geflogen.
»Heißer Einsatz, Mr. Sinclair?«
»Ich hoffe, dass er sich in Grenzen hält.«
»Ja, das wünsche ich Ihnen auch.«
***
Köln empfing seine Gäste mit einem strahlenden Himmel. Durch die Sonne hatte das Blau eine helle Farbe angenommen, aber man durfte sich nicht täuschen lassen. Es war schon kalt. Die Temperaturen lagen unter dem Gefrierpunkt.
Der Rest war Routine. Das heißt; ich hielt Ausschau nach Dagmar Hansen und sah sie zusammen mit einigen anderen Menschen, die auf die Passagiere warteten.
Dagmar trug einen braunen Wintermantel mit Daunenfutter. Auf ihrem Kopf saß eine helle Strickmütze, die mit einer ebenfalls gestrickten Blume verziert war.
Wir sahen uns fast zur selben Zeit, winkten uns zu und lagen uns wenig später in den Armen. Dagmar konnte nichts sagen. Ich merkte, dass sie trotz des dicken Wintermantels zitterte, und das lag bestimmt nicht an der Kälte.
»Ich bin ja so froh, dass du gekommen bist, John.« Sie presste ihre Wangen gegen die meinen. »Jetzt ist der Grauschleier nicht mehr so dicht um mich herum.«
»Das will ich hoffen. Und wie geht es Harry?«
Sie schaute mich an. Ich sah die Trauer in ihren Augen. Aber auch den Ausdruck der Hoffnung.
»Sein Zustand hat sich nicht verändert«, sagte sie leise und korrigierte sich einen Moment später. »Doch es gibt eine andere Veränderung. Er ist nach Köln in die Uni-Klinik verlegt worden.«
»Können wir ihn dort besuchen?«
»Klar. Die Zeit haben wir.«
»Okay, dann muss ich nur noch wissen, was genau passiert ist. Wir können bei einer Tasse Kaffee darüber reden.«
»Gern.«
In der neuen Halle des Flughafens gab es genügend Lokale. Es war auch nicht überfüllt. Wir stellten uns an einen Stehtisch, nachdem wir uns den Kaffe an der Theke geholt hatten.
Dagmar suchte nach dem richtigen Anfang, während sie die braune Brühe umrührte. Wenig später begann sie ihren Bericht mit leiser Stimme.
Ich stellte nur wenige Zwischenfragen. Schließlich verzog sich ihr Gesicht zu einem kantigen Lächeln.
»So, John, jetzt weißt du alles.«
»Danke.«
Sie schaute mich aus ihren grünen Augen an.
»Kannst du dir jetzt vorstellen, wie es in mir aussieht? Ich - ich -
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