1606 - Die Zeit-Bande
mit den entsprechenden Blicken bedacht. Nicht von allen Gästen, aber einige von ihnen hatten sich zusammengerottet. Sie bildeten vor uns eine Mauer, sie sehr aggressiv wirkte. Das waren so fünf, sechs Typen, deren Grinsen so falsch war wie die Zähne eines Greises. Möglicherweise waren sie auch scharf auf unser Geld. Raub und Totschlag hatte es zu allen Zeiten gegeben.
»Wir müssen hier raus«, flüsterte Suko. »Und das möglichst unbeschadet.«
»Wird schwer werden.«
»Ich weiß und…«
Ein Schrei unterbrach uns. Es war der helle Angstschrei einer Frau.
Wir schauten automatisch nach rechts. Dort war eine schmale Tür geöffnet worden. Dahinter lag ein düsterer Flur, aber wir sahen trotzdem, was sich dort abspielte.
Drei Personen. Zwei Männer und eine noch junge Frau. Sie wurde von den harten Händen festgehalten und nach vorn gestoßen, sodass sie den Gastraum stolpernd erreichte. Den Kopf hielt sie gesenkt, schaute dabei auf den Boden, schrie nicht mehr, dafür weinte sie.
Plötzlich waren wir nicht mehr interessant. Die Schläger glotzten allesamt in eine bestimmte Richtung. Als ich den grinsenden Ausdruck in ihren Gesichtern sah, wusste ich Bescheid.
Man würde sich wie Tiere auf die junge Frau stürzen und niemand würde ihr helfen, auch der Wirt nicht, denn der grinste breit.
An uns hatte man das Interesse verloren. Die Frau erhielt einen Stoß und taumelte in die Mitte. Sie wäre gefallen, aber da waren kräftige Hände, die sie packten und wieder in die Höhe rissen. Nur würden die Männer ihr nicht helfen, denn sie lachten hart. Ihr Mantel wurde aufgerissen. Hände schoben sich unter die Kleidung und fassten dorthin, wo es sich nicht gehörte.
»Elly soll tanzen!«, schrie jemand aus dem Hintergrund. »Auf den Tisch mit ihr!«
»Ja, auf den Tisch!«
»Wir wollen sie nackt sehen!«
Der letzte Satz wurde mit einem begeisterten Gejohle quittiert. Das war etwas für die Kerle, die jetzt ihre Abwechslung haben wollten.
Elly hatte Angst. Jeder sah es ihr an. Auch wir machten da keine Ausnahme. Das hübsche Gesicht, das von braunen Locken umrahmt wurde, zeigte die reine Angst. Es war verzerrt. Der Blick irrte hin und her auf der Suche nach Hilfe, doch es gab hier niemanden, der sich für sie einsetzen wollte.
Suko stieß mich an. »Alles klar?«
Meine Zustimmung gab ich ihm mit einem Nicken. Wir hatten Ellys Angst gesehen, und wir würden nicht zulassen, dass ihr etwas angetan wurde.
Die Kerle wollten ihren Spaß haben. Sie stießen sie an. Sie schleuderten sie von einem Mann zum anderen, damit sie jeder mal anfassen konnte.
Wir waren außen vor. Man ließ uns in Ruhe, aber sie konnten nicht vermeiden, dass Elly in unsere Richtung gestoßen wurde, was uns sehr entgegenkam.
»Achtung, John, fang sie auf!«
»Okay.« Mehr sagte ich nicht, denn für große Absprachen blieb uns keine Zeit.
Ein wüster Kerl zerrte an ihren Haaren. Der Schmerzensschrei war nicht zu überhören, dann wurde Elly herumgewuchtet und in unsere Richtung geschleudert.
Suko ließ sie passieren. Ich aber fing sie ab, bevor ein anderer zugreifen konnte.
Auch jetzt schrie Elly. Sie zitterte, aber dann hörte sie meine Stimme dicht an ihrem Ohr.
»Bleib ruhig. Es wird alles gut werden…«
Ob sie mich tatsächlich verstanden hatte oder nur einen Schockzustand erlebte, ich wusste es nicht. Aber ich hielt sie fest, als wäre ich ihr Schutzengel.
Sie tat nichts. Nur das Zittern blieb. Aber es trat noch etwas anderes ein.
Jeder in der Gaststätte hatte gesehen, wie wir uns verhielten. Das passte nicht in das Schema, und so vergingen nur Sekunden, bis wir die barsche Forderung einer hysterischen Stimme vernahmen.
»Gib sie her!«
»Das werde ich nicht!«, erwiderte ich laut, damit es auch bis in den letzten Winkel des Pubs zu hören war…
***
Ich hätte nie gedacht, dass es in einem Pub wie diesem hier still werden konnte. Das Phänomen trat jetzt ein. Es war plötzlich nichts mehr zu hören. Die Gäste hielten zwar nicht den Atem an, sie waren nur so überrascht, dass sie nichts mehr sagen konnten, und dieses Schweigen dauerte bestimmt zehn Sekunden an. Selbst der Wirt hielt seinen Mund.
Ich hatte mich etwas versetzt hingestellt, damit ich ihn aus einem Augenwinkel unter Kontrolle halten konnte.
Bis jemand schrill lachte. Die Stimme kannte ich. Ich sah auch einen jüngeren Typ mit roten Haaren, der mit beiden Armen herumfuchtelte.
»He, Elly gehört uns!«
»Nein, sie gehört nur sich selbst! Und wir werden
Weitere Kostenlose Bücher