1609 - Shaos Rachetour
noch weitere im Haus aufhielten.
Shao wollte sich aufrichten, als sie eine sanfte Melodie hörte, die aus der Kleidung des Toten kam. Dabei konnte es sich nur um ein Handy handeln.
Die Chinesin überlegte, ob sie sich melden sollte oder nicht. Sie tat es und stellte dabei nur die Verbindung her, ohne jedoch ein Wort zu sagen.
Eine rau klingende und auch leicht gehetzte Männerstimme drang an ihr Ohr. Sie musste sich anstrengen, um die einfache Frage verstehen zu können.
»Warum meldest du dich nicht?«
Shao gab keine Antwort, sie flüsterte nur: »Wo seid ihr denn?«
»In der…« Abbruch. Noch ein Schrei drang an ihr Ohr und malträtierte es.
Danach trat die Stille ein.
Shao klappte das Handy wieder zu und steckte es weg.
Die andere Seite wusste jetzt Bescheid. Aber sie hatte auch etwas verraten.
In der…
Mehr nicht, dann war der Satz abgebrochen und das gefiel ihr gar nicht, denn jetzt begann für sie das große Raten.
Was konnte er gemeint haben?
»In der - in der…«, murmelte sie mehrmals vor sich hin und dachte daran, dass dieser Satzbeginn vieles bedeuten konnte. Zum Beispiel in der Wohnung, in der Halle oder auch in der Tiefgarage.
Die letzte Möglichkeit gefiel ihr am besten.
Ja, in der Tiefgarage. Dort waren sie ungestört. Es war so etwas wie ein Ausgangspunkt für sie, denn von diesem Platz aus war es möglich, ungesehen ins Haus zu gelangen, weil die Fahrstühle bis in die Tiefgarage fuhren. Zwar kam ein Fremder nicht durch die normale Zufahrt hinein, es sei denn, er besaß eine Chipkarte, aber wer es darauf anlegte, konnte sie schon betreten.
Shao dachte nach. Von dem Japaner hatte sie erfahren wollen, wer noch alles zu ihm gehörte. Doch er hatte nichts gesagt. Also konnte sie nur raten. Zudem war sie nicht mehr davon überzeugt, dass es nur vier Gegner waren. Es konnten auch ein halbes Dutzend und noch mehr sein. Und dann spürte sie, dass ihre Wut abgeflacht war. Sie wollte die Rachetour plötzlich nicht mehr allein durchziehen. Dieser Plan war eine Folge ihrer Wut gewesen.
Suko und John waren in der Zwischenzeit sicherlich nicht untätig geblieben.
Shao war froh, das Handy mitgenommen zu haben. Es war mehr ein Reflex gewesen, als sie es eingesteckt hatte. Jetzt hoffte sie nur, dass Suko und John ebenso reagiert hatten.
Bevor sie den Anruf tätigte, lauschte sie in das Treppenhaus hinein und war beruhigt, dass sie keine verdächtigen Geräusche hörte. Mit diesem Wissen holte sie den flachen Apparat hervor und ließ Sukos Nummer auf dem Display erscheinen.
Die Verbindung stand, aber Suko meldete sich nicht. Ein wenig wunderte sie sich schon darüber, aber langes Nachdenken oder Lamentieren nutzte nichts. Es gab noch eine zweite Chance, und die musste sie ergreifen.
Diesmal hatte Shao Glück. Sie erreichte John Sinclair. Er meldete sich mit leiser Stimme.
»Ich bin es.«
»Shao, du? Wo steckst du?« Flüsternd gab sie ihren Standort durch.
Dann sagte sie: »Hör zu, ich habe es mir überlegt. Ich will keinen Alleingang durchziehen. Ich weiß nicht, wie groß die Anzahl meiner Gegner ist. Einen habe ich erledigen können. Es war Notwehr. Ich bin schneller gewesen als er. Mein Problem ist, dass ich Suko nicht erreiche. Kannst du mir dazu was sagen?«
»Er wird sein Handy nicht mitgenommen haben.«
»Das denke ich auch, John. Wo könnte er denn sein?«
»Ich bin draußen vor dem Haus und schaue mich dort um. Suko wollte in die Tiefgarage gehen und sich dort umsehen.«
»Ist er schon dort?«
»Ich denke schon.«
Shao atmete tief durch. »Danke, John. Ich schaue mich dann mal in der Tiefgarage um. Kann sein, dass ich ihm zur Seite stehen muss.«
»Tu das, Shao, aber sei vorsichtig.«
»Das bin ich sogar als Phantom mit der Maske. Aber ich habe auch einen neuen Helfer gefunden. Das Auge der Sonnengöttin. Ich denke, du wirst es noch selbst erleben.«
Nach diesem Satz legte Shao auf.
***
Ich stand vor dem Haus und war dabei aus dem Lichtschein des Eingangs getreten, um in der Dunkelheit zu warten. Hier wurde ich nicht so schnell gesehen. Ich hatte aber einen recht guten Blick zum Parkplatz hin, wo einige wenige Lampen ihr kaltes Licht verstreuten und nicht nur Autos trafen, sondern auch die angepflanzten Buschreihen, die die Grenzen der Fahrwege markierten.
Shaos Anruf hatte mich aufgewühlt und auch irgendwie beruhigt. Ich war froh darüber, dass sie ihre Rachetour nicht allein durchziehen wollte. Sie dachte wieder nüchterner, auch in ihrer Eigenschaft als Phantom mit
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